Der Dämonen-Gnom
fremdes Geräusch, das mich hätte mißtrauisch machen können.
»Siehst du sie?«
»Nein.«
»Gut«, hörte ich Suko und dann seinen leisen Schritt. Er stand jetzt hinter mir, und ich bewegte mich nach vorn, weil ich einen besseren Überblick haben wollte.
Sie waren nicht da.
Wir standen auf einem normalen Friedhof, hinter uns die alten Mauern einer Kapelle, denn auch Suko hatte es in ihrem Innern nicht mehr länger ausgehalten.
Er schüttelte den Kopf. »Haben sie die Kraft deines Kreuzes gespürt, oder war es mehr Taktik?«
»Ich denke an das letztere.«
»Okay«, sagte er, ging weiter und drehte sich während des Gehens ständig um. »Nichts zu sehen.« Er blieb stehen. »Was hältst du davon, wenn wir uns mal in der Nähe des Zirkusses umschauen?«
»Sehr viel sogar.«
»Dann komm.« Suko lief zum Wagen. Ich folgte ihm langsamer und wurde dabei den Eindruck nicht los, von etwas Unheimlichem beobachtet zu werden.
Ich fühlte nach meinem Kreuz. Es war normal kalt, hatte sich nicht erwärmt, aber das mußte nichts sagen. Die andere Seite lauerte, und sie würde zuschlagen, wenn wir es am wenigsten erwarteten. Mit diesem nicht eben optimistischen Gedanken stieg ich zu Suko in den Wagen.
***
Cäsar war immer auf sein Ringerkostüm aus imitiertem Tigerfell stolz gewesen, aber an diesem Nachmittag hätte er es am liebsten in die Ecke gefeuert, weil er einfach nicht mehr auftreten wollte. Er wußte zuviel, er hatte Angst, aber er dachte auch an die zahlreichen Kinder, die sicherlich auf den starken Mann warteten und dann große Augen kriegten, wenn er die Ketten zerriß und die Stahlarme umbog, als bestünden sie nur aus Gummi. Er war der Herkules, und er brachte noch immer eine Zugabe, denn nach seinem Auftritt ging er durch die Reihen und ließ die kleinen Gäste seine Muskeln fühlen. Ihre dabei entstehenden staunenden Augen würde er nie vergessen.
Aus dem Zelt hallte die Musik nur schwach bis zu ihm in den Wagen. Es war Musik vom Band, die aus alten Lautsprechern schepperte. So war es schon immer gewesen, und so würde es auch in Zukunft sein, das wußte er alles sehr genau.
Er hatte die Lampe eingeschaltet, deren Strom aus der Batterie kam. In ihrem Schein zog er sich um und schaute sich selbst im Spiegel dabei zu.
Nein, so wie er sah kein Held aus. Helden trugen andere Gesichtsausdrücke zur Schau. Wer in seine Augen blickte, der erkannte darin den gequälten Ausdruck, und Cäsar selbst hatte das Gefühl, daß ihm jeder von den Augen ablesen konnte, was er alles wußte und was möglicherweise noch alles geschehen konnte, wobei er zu feige war, um sich gegen den dämonischen Gnom zu stellen.
Dabei war er groß, muskulös und kräftig. Er brauchte nur die Hand zu ballen. Mit einem einzigen Schlag konnte er ihn zu Boden schmettern und somit aus dem Verkehr ziehen.
Aber in ihm wohnten zwei Seelen. Er war eben nicht der übergroße Schläger und Hauer. Er war als Mensch sogar sehr sensibel, einer, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Das wußten nicht viele seiner Kollegen, aber Michaela Santini, das Mädchen aus Neapel, gehörte dazu. Ihr konnte er nichts vormachen, sie schaute stets hinter seine Maske, und sie lächelte ihn sehr oft wissend an.
Als es gegen die Tür klopfte, schrak er heftig zusammen, weil ihn dieses Geräusch aus seinen Gedanken gerissen hatte. Sofort stellte sich die Frage, wer da so kurz vor seinem Auftritt etwas von ihm wollte, denn das entsprach überhaupt nicht den Regeln. Konnte es Pablo sein?
Nein, er hatte zu dieser Zeit seine große Schau. Auf dem stabilen Metallhocker drehte sich Cäsar um. Vor Nervosität leckte er über seine Lippen, und die breite Stirn war von einer faltigen Haut bedeckt. »Wer ist da?«
Cäsar erhielt keine Antwort. Zumindest nicht die, die er erwartet hatte.
Statt dessen klopfte es wieder. Ihm fiel ein, daß ihn der Ankömmling möglicherweise nicht gehört hatte, deshalb formulierte er die Frage noch einmal, lauter diesmal.
»Ich bin es, Michaela.«
Also doch. Die Person, an die er noch vor einigen Sekunden gedacht hatte. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, und gleichzeitig fiel ihm ein Stein vom Herzen. Mit dem Gnom hätte er sich viel schwerer getan.
Cäsar stand auf. »Warte, ich öffne.« Er ging zur Tür und schob dort den Riegel zur Seite.
Die Kleine stand vor ihm. Sie drückte sich auf die Zehenspitzen, um in sein Gesicht schauen zu können. »Meine Güte, ich hatte mir schon Sorgen um dich gemacht.«
»Warum?«
Sie
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