Der Daleth-Effekt
Zeitung in ein Gepäckfach ein und steckte den Schlüssel in die Tasche. Er ging eine Treppe hinab zu den Zügen, von wo er – obwohl es verboten war, die Gleise zu überqueren – einige Zeit später über eine andere Treppe wieder zum Vorschein kam. All das schien ihn durstig gemacht zu haben, denn er gönnte sich schließlich ein Glas Carlsberg an einem der brusthohen Tische in der Snackbar. All diese Handlungen schienen ihren Zweck endlich erfüllt zu haben, denn als er sich mit dem Handrücken den Schaum von den Lippen gewischt hatte, verließ er die Station durch den Hintereingang und schritt zügig die Østbanegade entlang, dicht neben den Gleisen, die hier aus dem Tunnel ans Licht der wäßrigen Wintersonne traten. An der ersten Ecke wandte er sich nach links und schritt an der anderen Seite des Friedhofs entlang. Er war allein auf der Straße.
Als er sich durch einen Rundblick noch einmal davon überzeugt hatte, machte er auf dem Absatz kehrt, ging durch die geöffneten schmiedeeisernen Tore und verschwand in der sowjetischen Botschaft.
6.
»Ja, ja«, sagte Nils Hansen in das Telefon. »Jegskal nok tale med hende. Tak for det.« Ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf den Apparat, während er wartete. Der Mann, der sich ihm als Skou vorgestellt hatte, stand am Fenster und blickte in den grauen Winternachmittag hinaus. Das leise Pfeifen von Düsen wurde hörbar, als eines der großen Flugzeuge von der Landebahn heranrollte.
»Hallo, Martha«, fuhr Nils auf englisch fort. »Wie geht’s … Prima … Nein, ich bin in Kastrup eben eingetroffen. Ein Rückenwind aus Athen hat uns beflügelt. Leider muß ich sofort wieder los …« Er nickte zustimmend, dann verzog er unbehaglich das Gesicht.
»Hör zu, Liebling, du hast ja völlig recht. Ich bin ganz deiner Meinung, aber wir können absolut nichts dagegen tun. Die Naturgewalten haben anders entschieden. Ich kann zwar nicht selbst fliegen, aber ich kann mich fliegen lassen. Einer der Piloten – ein Schwede, was sonst? – liegt mit einer Blinddarmentzündung in Kalkutta fest. Ich sause mit dem nächsten Flug hin, der jetzt schon auf mich wartet, und schlafe unterwegs und habe dann auch noch eine Nacht im Oberoi Grand, ehe ich seinen Rückflug übernehme. Ja … eher, achtundvierzig Stunden, würde ich sagen … Es tut mir auch leid, daß ich das Essen verpasse, und sag doch bitte den Overgaards, daß ich mit Tränen in den Augen an ihr dyresteg denke … Natürlich fehlst du mir auch, skat, und ich werde dafür sorgen, daß ich einen ordentlichen Bonus bekomme, und dafür kaufe ich dir was Nettes. Ja … sehr schön … mach’s gut.«
Nils hängte auf und starrte mit unverhohlener Abneigung auf Skous Rücken. »Es macht mir keinen Spaß, meine Frau anzulügen«, sagte er.
»Es tut mir sehr leid, Kapitän Hansen, aber das läßt sich leider nicht vermeiden. Wir müssen diese Sache geheimhalten.« Er sah auf seine Uhr. »Das Flugzeug nach Kalkutta startet gerade, und Sie stehen auf der Passagierliste. Sie sind auch in dem Hotel in Kalkutta angemeldet, obwohl Sie dort natürlich keine Telefongespräche entgegennehmen können. Wir haben die Sache bis in die letzten Einzelheiten geplant – ein harmloses, aber notwendiges Täuschungsmanöver.«
»Wieso notwendig? Sie erscheinen aus dem Nichts, führen mich in dieses Büro, zeigen mir Briefe von wichtigen Leuten, die meine Mitarbeit erbitten – darunter auch ein Schreiben meines Kommandanten der Luftwaffenreserve –, ringen mir ein Versprechen ab und bringen mich dazu, meine Frau zu belügen – aber in Wirklichkeit haben Sie mir überhaupt nichts gesagt. Was zum Teufel wird hier gespielt?«
Skou nickte ernst.
»Wenn ich es Ihnen sagen könnte, würde ich es auf der Stelle tun. Ich kann es aber nicht. Sehr bald werden Sie alles wissen. Können wir jetzt gehen? Ich nehme Ihren Koffer.«
Nils riß das Gepäckstück an sich, ehe es der andere anfassen konnte, stand auf und knallte sich die Uniformkappe auf den Kopf. Skou öffnete die Tür, und Nils stapfte hinter ihm hinaus. Sie verließen das Flughafengebäude durch den Hintergang, wo bereits ein Taxi auf sie wartete. Kaum waren sie eingestiegen, als der Fahrer auch schon seine Uhr einstellte und den Wagen startete, ohne auf Anweisungen zu warten.
»Das ist interessant«, sagte Nils und sah aus dem Fenster. Seine Stirn hatte sich geglättet; sein Ärger hielt niemals lange vor. »Anstatt nach Kopenhagen zu fahren und uns der großen Welt
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