Der Daleth-Effekt
ein Mensch wird nie verstehen, daß man im Zeitalter des Dampfschiffs eben Dampfschiffe baut und in der Ära der Flugzeuge eben Flugzeuge.«
»Ich verstehe nicht.« Sie schluchzte trocken. Sie hatte keine Tränen mehr.
»Es ist immer wieder dasselbe. Kaum hatten die Japaner im Zweiten Weltkrieg gerüchteweise von dem amerikanischen Radar gehört, machten sie sich an die Arbeit. Sie entwickelten das Magnetron und andere wichtige Teile fast gleichzeitig mit den Amerikanern. Nur innere Auseinandersetzungen und mangelnde Produktionsmöglichkeiten verhinderten, daß ihr Gerät noch zum Einsatz kam. Es war eben das Radarzeitalter angebrochen. Und jetzt … jetzt zieht das Daleth-Zeitalter herauf, und die Geheimniskrämerei um den Effekt ist längst sinnlos geworden.«
Sie schwiegen lange. Eine Wolke schob sich vor die Sonne, und es wurde dunkler im Zimmer. Schließlich stellte Martha ihre Frage – eine Frage, um die sie nicht herumkam.
»War dann alles umsonst? War dann der Tod all dieser Menschen – sinnlos?«
»Nein.« Ove zögerte und versuchte, zu lächeln, aber es wurde nur eine Grimasse. »Wenigstens hoffe ich, daß nicht alles umsonst war. Bei der Explosion sind Menschen aus vielen Ländern umgekommen, und das Entsetzen über die Katastrophe führt vielleicht dazu, daß die Menschen überall – vielleicht sogar die Politiker – vernünftiger werden. Vielleicht bringen sie es fertig, die Entdeckung zum Wohle der ganzen Menschheit auszunutzen, ein einziges Mal jetzt das Richtige zu tun, ohne Streiterei, ohne daß eine noch schrecklichere Vernichtungswaffe daraus wird. Richtig angewandt, könnte der Daleth-Effekt die Welt in ein Paradies verwandeln. Die Japaner haben uns sogar in einem Punkt ausgestochen – sie haben die separate Energiequelle überflüssig gemacht. Von der allgemeinen Energiekonservierung ausgehend, stellten sie fest, daß sie aus dem Daleth-Effekt selbst die nötige Energie ziehen konnten. Also stehen wir jetzt alle an der gleichen Startlinie, und es wird einige Zeit dauern, bis wir uns an diese Tatsache gewöhnt haben. Aber die Welt, wir alle müssen uns zusammentun und dieser Tatsache ins Auge sehen. Jedem Individuum oder Land, das diese Macht mißbrauchen will, muß sofort Einhalt geboten werden – zum Besten aller.
Wenn Sie die Sache so sehen, ist der Tod dieser Menschen nicht umsonst. Wenn alle daraus etwas lernen könnten, ist es ihr Opfer vielleicht wert gewesen.«
»Aber bringen wir das fertig?« fragte Martha. »Werden wir es wirklich schaffen, uns die Welt so einzurichten, wie wir es uns alle wünschen? Wir werden es doch nie erreichen.«
»Wir werden es müssen«, sagte er, beugte sich vor und nahm ihre Hände zwischen die seinen. »Oder wir kommen bei dem Versuch um.«
Sie schüttelte den Kopf und lächelte schmerzlich.
Die Sonne brach durch die Wolken, aber in dem Haus – in dem Zimmer, in dem die beiden saßen – lag Dunkelheit, die nicht weichen wollte.
ENDE
Als TERRA-Taschenbuch Band 365 erscheint:
Frederik Pohl
Signale
Klassische Stories des Meisters der satirischen SF
FREDERIK POHL X 7
Der amerikanische Autor, der zu den namhaftesten Satirikern der Science Fiction zählt, präsentiert hier einen Teil seiner besten Arbeiten aus dem Anfang der sechziger Jahre.
Es sind die Stories
vom Raumkapitän und den Kälteschläfern –
vom vergnüglichen Ausflug auf Erde 18 –
vom alten Mann, der sich für einen Versager hält –
von der tödlichen Gefahr aus dem Zentrum der Galaxis –
von dem Terraner, der sein Glück machen will –
und die beiden Abhandlungen über das binäre Zahlensystem.
TERRA-Taschenbücher erscheinen zweimonatlich und sind überall im Buchhandel, Zeitschriften- und Bahnhofsbuchhandel erhältlich.
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