Der Dativ Ist dem Genitiv Sein Tod 1
eine als auch das andere.
Daher kann und will ich mir auch nicht anmaßen, in diesem Buch absolute Wahrheiten zu verkünden. Meine Texte sprechen allenfalls Empfehlungen aus. Die muss nicht jeder teilen, manchmal weichen sie sogar von dem ab, was in einigen Grammatikwerken steht. Wenn ich mich mit einer gedankenlosen Sprachmode auseinander setze, bedeutet dies nicht gleich, dass ich ihre vollständige Abschaffung verlange. Mir geht es vor allem darum, das sprachliche Bewusstsein zu schärfen und meine Leser zu ermutigen, nicht alles widerspruchslos hinzunehmen, was ihnen an bizarren Formulierungen in den Medien, in der Werbung, in der Politik, im Geschäfts- und Amtsdeutsch geboten wird.
Zuletzt muss natürlich noch eine Frage beantwortet werden, die sich jeder stellt, der das Wort »Zwiebelfisch«
zum ersten Mal hört oder liest: Was bedeutet dieser seltsame Name, woher stammt er, und was hat er mit deutscher Sprache zu tun?
Laut Lexikon ist der Zwiebelfisch zunächst mal tatsächlich ein Fisch, Anglern besser bekannt als Ukelei, aus der Familie der Karpfenfische, wissenschaftliche Bezeichnung Alburnus alburnus. Er gilt als »geselliger Oberflächenfisch« und ist in stehenden und nicht zu stark strömenden Gewässern nördlich der Alpen zu finden.
Derartige Eigenschaften (gesellig, oberflächlich, strömungsscheu) ließen ihn nur bedingt als Paten für eine Kolumne geeignet erscheinen, die sich anschickte, in die Tiefen der deutschen Sprachniederungen hinabzutauchen.
Doch das Wort hat noch eine zweite Bedeutung: Im Buch- und Zeitungsdruck bezeichnet »Zwiebelfisch«
einen Buchstaben innerhalb eines Wortes, der
(versehentlich) in einer falschen Schriftart gesetzt wurde.
Irgendjemand hatte mal die Assoziation, dass ein Haufen durcheinander geratener Schrifttypen wie ein Schwarm Zwiebelfische aussähe. Da die Setzersprache bildhafte Ausdrücke sehr schätzt (man denke an »Hurenkind« und
»Schusterjunge«), hat sich der »Zwiebelfisch« als Bezeichnung für falsch gesetzte Lettern etabliert. Und da diese Kolumne es sich zur Aufgabe gemacht hat, »falsch gesetzte« Wörter in deutschen Texten aufzuspießen, also
»Zwiebelfische« im übertragenen Sinn, schwamm ihr der Name buchstäblich zu.
Die Idee, den Begriff »Zwiebelfisch« aus der
Schriftsetzersprache auf einen weiter gefassten sprachlichen Kontext zu übertragen, ist allerdings nicht ganz neu. Bereits von 1910 bis 1934 gab es eine bibliophile Zeitschrift für Literatur und Kunst dieses Namens; die im Münchner Hyperion-Verlag erschien.
Heute ziert der Name »Zwiebelfisch« einen kleinen Buchverlag in Berlin, ein Magazin für Gestaltung von der Freien Hochschule für Graphik-Design in Freiburg, eine seit über 30 Jahren bestehende Kneipe in Berlin-Charlottenburg sowie etliche Kochrezepte, in denen Fischfilet und jede Menge Gemüsezwiebeln eine Rolle spielen. Und schließlich auch diese sprachpflegerische Kolumne, die schaurige, traurige, unsägliche,
unerträgliche, abgehobene und verschrobene
Erscheinungen der deutschen Sprachkultur unter die Lupe und aufs Korn nimmt.
Bastian Sick
Hamburg, im August 2004
Begleiten Sie den »Zwiebelfisch« auf seinen wöchentlichen Streifzügen im Internet: http://www.spiegel.de/zwiebelfisch Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod
Nicht nur die SPD hat es in Bayern schwer. Auch der Genitiv wird nicht ernst genommen. Freilich ist es das gute Recht eines jeden Volksstammes, sich außer seiner Regierung auch seine eigene Grammatik zu wählen.
Bedenklich wird es erst, wenn »wegen dem« Dialekt die Hochsprache verflacht. Ein Traktat zugunsten des zweiten Falles.
»Wegen dir«, sang die bayerische Sängerin Nicki 1986. Das Lied war damals ein großer Erfolg und erlangte Bekanntheit weit über die Grenzen Bayerns hinaus. Ein deutscher Schlager, der nicht auf
Hochdeutsch getextet war. Die Bayern, das weiß man, haben's net so mit dem Wes-Fall (Woos is des?), sie lieben den Dativ wie das Weißbier und die Blasmusik.
Daher verzieh man der Sängerin auch gerne den dritten Kasus im Zusammenhang mit dem Wörtchen »wegen«.
Als müsse er diesem genitivfeindlichen Tiefschlag etwas entgegenhalten, brachte im selben Jahr der Österreicher Udo Jürgens eine Platte mit ähnlich klingendem Titel heraus: »Deinetwegen« hieß das Album, und es wurde ein großer Erfolg weit über die Grenzen Österreichs hinaus. Zum Glück: So wurden die Radiohörer im deutschsprachigen Raum daran erinnert, dass man in Bayern »wegen dir«
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