Der Dativ Ist dem Genitiv Sein Tod 1
mit Gewissenskonflikten« veranschaulichen die geradezu seuchenartige Ausbreitung der Präposition »um« auf Kosten der treffenderen Artgenossinnen »über«, »für«
und »wegen«.
Wer mit dieser Art von Formulierungen tagtäglich zu kämpfen hat, dem sei als kleine Hilfe nachstehende Tabelle empfohlen. Einfach kopieren und an den Monitor nageln, schon gibt's kein Rätselraten mehr um ... pardon: über die richtige Präposition.
Die richtige Verwendung von »um« und »über«
Substantiv
Postposition
Abstimmung
über
Affäre
um
Aufregung
über
Auseinandersetzung
über
Beratungen
über
Debatte über
Diskussion
über
Drama
um
Gejammere
über
Gerangel
um
Gerede
über
Gerücht
über
Gespräch
über
Gezerre
um
Gezeter
über
Hickhack
um
Intrige
um
Konflikt (mit Besitzanspruch)
um
Konflikt (mit geteilter Meinung)
über
Krawall
um
Lamento
über
Mutmaßungen
über
Nachdenken
über
Poker
um
Prozess
um
Querelen
um
Radau
um
Rätselraten
über
Skandal
um
Spekulationen
über
Streit (mit Besitzanspruch)
um
Streit (mit geteilter Meinung) über
Tauziehen
um
Verhandlungen
über
Vermutungen
über
Verwirrung
um
Wirrwarr
über
Zwist (mit Besitzanspruch)
um
Zwist (mit geteilter Meinung)
über
Die unvorhandene Mehrzahl
Gerüchte, Spekulationen, Unterstellungen - sie sind der schlimmste Alptraum eines jeden Prominenten. Es gibt nur eines, was noch schlimmer wäre: das Gerücht, die Spekulation, die Unterstellung. Ein Plädoyer gegen schwammige Plurale und für die Kraft der Einzahl.
Ein erpresserischer Innensenator, ein
kompromittierter Bürgermeister, ein zur Miete
wohnender Justizsenator und angebliche Zeugen für vermeintliche Liebesgeräusche. Die Gerüchteküche brodelte, was das Zeug hielt, aus allen Töpfen blubberte und spuckte es, weißer Schaum stemmte die Deckel hoch, zäher Brei troff auf die Herdplatte, wo er laut zischend verbrannte. Welch ein gefundenes Fressen für die Presse, die gar nicht hinterherkam, all die vielen Spritzer einzufangen und die Schliere in Tüten abzufüllen.
Das las sich dann etwa so: »Gerüchte, er habe ein homosexuelles Verhältnis mit dem Justizsenator, wollte der Bürgermeister nicht kommentieren.« Abgesehen von dem moralischen Problem haben wir es hier auch mit einem stilistischen zu tun. Der Satz beginnt mit dem Objekt, und dieses Objekt wird im anschließenden Einschub näher erklärt. Das ist sprachlich zwar nicht elegant, grammatisch aber korrekt. Doch sehen wir uns dieses Objekt und seine Bestimmung einmal näher an:
»Gerüchte« heißt es, ein Wort in der Mehrzahl. Und wie lauten diese mehreren Gerüchte? Da wäre zum einen: Er habe ein homosexuelles Verhältnis mit seinem
Justizsenator. Aha. Und zum zweiten? Nix mehr. Schade eigentlich.
Wir haben es hier mit einem Lieblingsphänomen der deutschen Schriftsprache zu tun: dem unvorhandenen Plural. Er taucht überall dort auf, wo vermutet, behauptet, unterstellt und spekuliert wird.
»Befürchtungen, dass sie durch den heißen Auftritt ihrem Image geschadet habe, hat die Blondine offenbar nicht«, war in einem Text über Britney Spears zu lesen, nachdem sie von Madonna in die Wunder des
öffentlichen pseudo-lesbischen Lingualverkehrs eingeführt worden war. Warum sich der Verfasser nicht getraut hat, »die Befürchtung« zu schreiben, wenn er doch nur eine nennt, das bleiben seine Geheimnisse.
Vielleicht wählte er den Plural in der Annahme, der Aussage damit mehr Gewicht zu verleihen: Je mehr er die arme Spears befürchten lässt, desto mehr beeindruckt er die Leser. Doch das ist ein Trugschluss. Wenn es nicht gar Trugschlüsse sind.
Der Plural verstärkt nicht, er verdichtet nichts, er macht die Befürchtung nicht fürchterlicher. Im Gegenteil
– der Plural schwächt ab, er entzieht der Befürchtung das Beklemmende, macht sie beliebig. Hier wird die Möglichkeit verschenkt, mit weniger mehr zu erreichen.
»Der Schriftsteller bestreitet die Vorwürfe, in den sechziger und siebziger Jahren für die Stasi gearbeitet zu haben.« Der Plural wäre verständlich, wenn Vorwurf eins lautete, der Schriftsteller habe in den sechziger Jahren für die Stasi gearbeitet, und Vorwurf zwei, er habe das, starrsinnig wie Intellektuelle nun mal sind, in den siebziger Jahren immer noch getan. Gemeint ist aber bloß ein einziger Vorwurf.
»Forderungen nach einem direkten Rückzug der
Koalitionstruppen schloss sich Fischer nicht an.«
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