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Der Dativ Ist dem Genitiv Sein Tod 1

Der Dativ Ist dem Genitiv Sein Tod 1

Titel: Der Dativ Ist dem Genitiv Sein Tod 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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gewohnter Manier die Hosen runter, und nach anfänglichen Startschwierigkeiten mausert sich sein zweites Buch jetzt scheinbar zu einem richtigen Verkaufsschlager.« Der Schlag auf die Schlummertaste kann gar nicht hart genug sein, wenn es gilt, nervende Quasselstrippen auf Radiosendern zum Schweigen zu bringen. Erst recht, wenn sie sich in hilfsbedürftigem Deutsch über hilflose Literaturversuche verbreiten. Leider währt die Ruhe nur wenige Minuten.
    Und bei der nächsten Weck-Attacke tut er es tatsächlich wieder:
    »... zwei zu null, die Gastgeber hatten sich scheinbar gut auf dieses Spiel vorbereitet.«

    Der Bedeutungsunterschied zwischen »anscheinend«
    und »scheinbar« ist offenbar selbst Radiosprechern nicht immer geläufig. Dabei ist er alles andere als gering.
    »Anscheinend« drückt die Vermutung aus, dass etwas so ist, wie es zu sein scheint: Anscheinend ist der Kollege krank, anscheinend hat keiner zugehört, anscheinend hat der Chef mal wieder schlechte Laune. »Scheinbar«
    hingegen sagt, dass etwas nur dem äußeren Eindruck nach, nicht aber tatsächlich so ist: Scheinbar interessierte er sich mehr für die Nachrichten (in Wahrheit wollte er bloß seine Ruhe haben); scheinbar war der Riese kleiner als der Zwerg (weil der Zwerg ganz weit vorne stand und der Riese ganz weit hinten); scheinbar endlos zieht sich die Wüste hin.

    In den wenigsten Fällen, in denen scheinbar
    gebraucht wird, ist scheinbar auch wirklich gemeint.
    Sätze wie »Das ist ihm scheinbar egal« oder »Scheinbar weiß es keiner« sind zwar häufig zu hören, doch leider–
    meistens–falsch. Richtig muss es heißen: »Das ist ihm anscheinend egal« und »Anscheinend weiß es keiner«.
    Andernfalls würde es bedeuten, die Gleichgültigkeit und die Unwissenheit wären nur vorgetäuscht.

    In besonders romantischen Momenten steht die Zeit scheinbar still. Hier ist scheinbar richtig, denn es handelt sich nur um einen » gefühlten« Zeitstillstand und keinen echten. Doch wo immer sich jemand scheinbar geirrt hat, da hat er sich höchstwahrscheinlich bloß anscheinend geirrt. Zum Beispiel Cäsar; der hatte sich anscheinend in Brutus getäuscht, sonst hätte ihn dessen Beteiligung am Komplott nicht derart überrascht. Dass er kein Misstrauen gegen Brutus hegte, lag daran, dass dieser ihm scheinbar wohlgesinnt war. Pech für Cäsar, dass der Schein trog.

    Ein noch berühmteres Beispiel liefert die griechische Sagenwelt: Im Kampf um Troja waren die Belagerer scheinbar zum Rückzug bereit. Ihr hölzernes Pferd sollte die Trojaner von ihrem Friedenswillen überzeugen. Über die Erkenntnis, dass zwischen Anschein und Wirklichkeit oft brutale Lücken klaffen, versank Troja in Schutt und Asche.

    Der Duden weist darauf hin, dass die Unterscheidung zwischen scheinbar und anscheinend »relativ jung« ist: Erst im 18. Jahrhundert wurden die beiden Wörter
    »gegeneinander abgegrenzt und differenziert«. Da sich diese Differenzierung auch im 21. Jahrhundert noch nicht vollständig herum-gesprochen hat, kann man sich ungefähr ausrechnen, was das für andere Differenzierungen bedeutet, die bedeutend jünger sind: Die Rechtschreibreform
    beispielsweise wird sich demnach auch im 23.
    Jahrhundert noch nicht endgültig durchgesetzt haben.

    Die Hartnäckigkeit, mit der sich scheinbar am
    falschen Fleck behauptet, ist möglicherweise auch mit der gestiegenen Beliebtheit der Endsilbe -bar begründbar.
    Außerdem ist scheinbar anscheinend praktischer, zumal um eine Silbe kürzer. Und das Wichtige, der »Schein«, kommt gleich als Erstes und nicht erst in der Mitte. Der Gebrauch des Wortes anscheinend verlangt dem
    Benutzer einen winzigen Moment des Nachdenkens ab, scheinbar hingegen ist was für Schnellsprecher, die sich beim Reden nur ungern durch Nachdenken aufhalten lassen.

    Dazu gehört anscheinend auch der scheinbar ständig gut gelaunte Radiosprecher vom Sieben-Uhr-Weck-und-Schreck-Kommando. Denn der plappert unbeirrt weiter:
    »Von seiner letzten Platte verkaufte er gerade mal zwei Millionen Exemplare. Scheinbar will ihn keiner mehr hören.« Was morgens um sieben wirklich keiner hören will, ist dummes Geschwätz. Das ist weder scheinbar so noch anscheinend; das steht völlig außer Zweifel.
    Höchste Zeit, sich einen anderen Sender zu suchen.

    Sinnverwandte Begriffe
    scheinbar:
    nur zum Schein, angeblich, vorgeblich, nicht in Wirklichkeit, vorgetäuscht, trügerisch

    anscheinend:
    allem Anschein nach, wohl, vermutlich, wahrscheinlich,

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