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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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dem Staatssekretär nicht verscherzen will,
    hält er sich daran, und so liest man anderntags in der Zei-
    tung: »... hieß es aus Kreisen der Regierung.«
    Kreise sind für den Journalisten ein wichtiges Hilfsmittel,
    fast noch wichtiger als die automatische Rechtschreibprü-

    fung von Microsoft. Denn viele Informationen kämen nie
    oder nur mit erheblicher Verspätung in Umlauf, wenn man
    sich nicht auf »Kreise« berufen könnte. Oftmals werden In-
    formationen überhaupt nur unter der Bedingung preisgege-
    ben, dass der Name des Informanten nicht genannt wird.
    »Das habe ich Ihnen unter zwei gesagt«, bekommt der Jour-
    nalist dann zu hören. Das ist für ihn das Signal, beim Zitie-
    ren auf »Kreise« auszuweichen. »Unter eins« bedeutet: »Sie
    dürfen mich wörtlich zitieren.« Aussagen, die man »unter
    zwei« gesagt bekommt, darf man zitieren, aber ohne Nen-
    nung der Quelle; und alles, was man »unter drei« gesagt be-
    kommt, das muss man ganz für sich behalten, jedenfalls fürs
    Erste.
    Je heißer das Eisen, das ein Journalist anfassen will, desto
    größer die Wahrscheinlichkeit, dass ihm als zitierfähige
    Quellen nur ominöse Kreise zur Verfügung stehen.
    Adelsreporter zum Beispiel brächten ohne Kreise vermut-
    lich keine einzige Zeile zu Papier. Kaum hat mal wieder je-
    mand im Buckinghampalast gegen die Etikette verstoßen
    und die Queen ihrem Ärger beim nachmittäglichen Fünf-
    Uhr-Tee Luft gemacht, liest man beim Friseur: »Wie aus Pa-
    lastkreisen verlautete, war die Queen not amused.«Für viele
    Briten mag der Buckinghampalast der Nabel der Welt sein,
    um den sich alles dreht. Daher ist die Assoziation eines
    Kreismittelpunktes, von dem aus sich beim geringsten Hüs-
    teln der Queen konzentrische Ringe über die gesamte Ober-
    fläche der britischen Gesellschaft verbreiten, nicht ganz ab-
    wegig. Wer sich mit der Regenbogenpresse auskennt, weiß
    aber, dass die Kreise vor allem aus Geiern bestehen, die un-
    aufhörlich um den Palast flattern, die Kamera und das Ton-
    bandgerät permanent im Anschlag, und die in ständiger
    Verbindung stehen mit sämtlichen Kammerdienern, Zofen,
    Gärtnern und engsten Freundinnen irgendeiner Lady Chat-
    terer, die zufällig dabei war und genau gesehen haben will,

    wie die Königin für einen kurzen Augenblick die Conte-
    nance verlor.
    Und das ist noch der günstigste Fall. Im ungünstigeren −
    und vermutlich häufigeren − Fall steht der Hofberichter-
    statter nur mit anderen Hofberichterstattern in Verbindung
    und kennt weder einen Kammerdiener noch eine Zofe, ge-
    schweige denn eine enge Freundin von irgendwem; dann
    verbirgt sich hinter den zitierten Palastkreisen nichts weiter
    als ein Ondit. Das ist Französisch und bedeutet Gerücht.
    »Kreise« können für vier verschiedene Gruppen von In-
    formanten stehen. Erstens für die »darf ich nicht verraten«,
    zweitens für die »zu unbedeutend, um mit Namen genannt
    zu werden«, drittens für die »hab mir den Namen zwar ir-
    gendwo notiert, kann ihn im Moment aber nicht finden«
    und viertens für die, deren Existenz nicht bewiesen werden
    kann. Diese letzte Kategorie findet man vor allem links und
    rechts des Boulevards, in seriösen Redaktionen hat sie
    selbstverständlich Hausverbot.
    Der wesentliche Vorzug der Kreise liegt in ihrer formlosen
    Beschaffenheit. Sie sind wie Nebel gestaltlos, transluzent,
    ungreifbar. Und damit auch unwiderlegbar. Kreise sind prak-
    tisch, das lässt sich nicht leugnen. Daher ist die Versuchung
    groß, sich ihrer häufiger zu bedienen, als dem Informations-
    gehalt gut tut. Denn da Kreise nun einmal nicht dingfest zu
    machen sind, wirkt sich ihr verstärktes Auftreten zu Lasten
    der Glaubwürdigkeit aus. Da hilft es auch nichts, sie in alt-
    modischer Manier mit Attributen wie »wohlunterrichtet«,
    »eingeweiht« oder »gut informiert« zu schmücken. Die An-
    nahme, die Kreise würden durch solche Zusätze glaubwür-
    diger, um nicht zu sagen runder, ist trügerisch.
    Lästig ist auch die Angewohnheit, die einmal in den Text
    eingeführten Kreise weiter zu verwenden und dabei auf eine
    nähere Bestimmung zu verzichten. Es heißt dann einfach nur
    noch »verlautete aus den Kreisen« oder »hieß es aus den

    Kreisen«, quasi analog zu bekannten Versatzstücken wie
    »sagte der Sprecher« oder »erklärte der Minister«.
    Man kann sich fragen, welchen Informationswert solche
    Angaben haben: »... war aus den Kreisen zu vernehmen«,
    »hieß es aus den Kreisen«.

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