Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2
Vor allem darf man sprachästheti-
sche Zweifel anmelden. Schon allein das allzu häufig nachge-
schobene »hieß es« ist hilflos; das Anhängen irgendwelcher
Kreise verbessert nicht den Lesefluss, sondern verwässert
den Lesegenuss.
Am tollsten wird’s jedoch, wenn plötzlich Kreise auftau-
chen, die zu keinem Zeitpunkt im Text näher bestimmt und
zugeordnet werden. Kreise, die aus dem Nichts auftauchen,
durch nichts erklärt werden und somit nichts besagen. Da
heißt es zum Beispiel:
»Kreisen zufolge geschah dies bereits im Juli 2001, also vor
den Terroranschlägen, und damit bevor die Luftfahrtbranche
in die Krise stürzte.« (»Börsen-Zeitung«)
Um welche Kreise es sich handelt, muss sich der Leser aus
dem Zusammenhang selbst zusammenreimen. Und dass er
sich Dinge selbst zusammenreimen muss, ist eigentlich nicht
der Sinn einer Meldung.
»Kurz vor Verabschiedung der Gesundheitsreform im Ka-
binett wurde der Entwurf im Detail noch verändert. Wie aus
Kreisen verlautete, sollen Apotheker künftig beliebig viele
Apotheken führen dürfen.« (»Die Welt«)
Dass hier Regierungskreise gemeint sein könnten, liegt im
Bereich des Wahrscheinlichen, Gewissheit hat der Leser je-
doch nicht.
»Die CDU in Nordrhein-Westfalen schließt nach Anga-
ben aus Kreisen den Rückzug des Bundesfraktionsvorsit-
zenden aus dem Parteipräsidium nicht mehr aus. «(SPIEGEL
ONLINE)
Welche Kreise mögen hier gemeint sein? Rhein-Sieg-
Kreis? Lippe? Minden-Lübbecke? Hochsauerland-Kreis?
Nein, die Kreise, um die es hier geht, sind auf keiner Karte
und keinem Autokennzeichen zu finden. Vielmehr handelt es
sich um Parteikreise, aber das wollte der Verfasser aus un-
erfindlichen Gründen nicht enthüllen. Und es kreist munter
weiter:
»Im EU-Verfahren gegen den Software-Riesen hat Krei-
sen zufolge Konkurrent Real-Networks demonstriert, dass
Microsoft sein Windows-Betriebssystem nicht ausschlach-
ten muss, um die EU-Forderungen zu erfüllen.«(»Frankfurter
Rundschau«)
Ein Freund, dem ich meine Besorgnis über die Zunahme
der unbestimmten Kreise im Nachrichtenwesen mitteilte,
wusste eine Antwort: »Das geht zurück auf die wilden Sieb-
ziger! Damals hat doch jeder Journalist Trips eingeworfen,
davon bekam er Halluzinationen und sah lauter psychedeli-
sche Kreise. Das wirkt offenbar bis heute nach.« Vielleicht
hat er Recht. Die Welt mag sich im Kreis drehen, in der Me-
dienwelt dreht sich alles um Kreise.
»Störe meine Kreise nicht«, soll der griechische Gelehrte
Archimedes einem römischen Soldaten zugerufen haben, der
nach der Eroberung von Syrakus in sein Haus eindrang.
Gemeint waren die geometrischen Figuren, die Archimedes in
den Sand gezeichnet hatte. Dieser Ausspruch steht, in leicht
abgewandelter Form, im Gebetbuch manches Journalisten
gleich auf Seite eins: »Bitte lasst mir meine Kreise!« Er soll
sie ja auch behalten. Nur soll er pfleglich mit ihnen umgehen,
das heißt sie nicht überstrapazieren und vor allem nicht
unerklärt lassen. So verlautet aus Zwiebelfischkreisen.
Provozierend provokant
Frage einer Leserin: Was ist der Unterschied zwischen
provozierend, provokativ und provokant?
Antwort des Zwiebelfischs: »Duden« und »Wahrig«
schreiben den drei Begriffen keinen erkennbaren Bedeu-
tungsunterschied zu. Schlägt man unter »provokant« und
»provokativ« nach, so findet man als Erklärung »herausfor-
dernd, provozierend«. Dafüir kennen die Wörterbücher noch
eine vierte Variante: provokatorisch − was ebenfalls dasselbe
bedeutet.
»Provozierend « wurde im 16. Jahrhundert aus dem lateini-
schenpro-vocare entlehnt, »provokant« gelangte im 17. Jahr-
hundert aus dem Französischen (provocant) in unsere Spra-
che. »Provokativ« ist wiederum eine Ableitung des Provoka-
teurs, der erst im 20. Jahrhundert aus Frankreich kommend
in den deutschen Sprachraum eindrang. »Provozierend« ist
demnach die älteste Form, die von Gelehrten gebildet wurde,
um künstlich hervorgerufene Reaktionen in natur-
wissenschaftlichen Disziplinen benennen zu können. So
spricht man beispielsweise von krebsprovozierenden Sub-
stanzen, neuerdings wohl auch von»Krebs provozierenden«
Substanzen, nicht aber von krebsprovokanten Substanzen.
Provokant kann dafür eine Äußerung oder ein Verhalten
sein, der Begriff scheint eher gesellschaftlicher als wissen-
schaftlicher Natur zu sein. Dasselbe gilt für provokativ. Und
wer sich wie ein Provokateur, also wie ein
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