Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2
Aufwiegler ver-
hält, der verhält sich provokatorisch.
Der Jugendjargon hält übrigens noch eine weitere Ablei-
tung bereit: Wer gerne demonstriert und Krawalle liebt, der
ist »voll provomäßig drauf«. Womit wir gleich beim nächs-
ten Thema wären...
Die maßlose Verbreitung des Mäßigen
Dass die Umgangssprache einem Rinnsal gleich immer nach dem
kürzesten Weg sucht, ist nachweislich falsch. Viele Menschen könn-
ten ihre Telefonkosten halbieren, wenn sie sich angewöhnten, auf
überflüssige Wortanhängsel zu verzichten. Doch das fällt offenbar
genauso schwer wie der Verzicht auf Süßes und Kartoffelchips.
Gemessen am Unglück anderer geht es uns Deutschen ei-
gentlich recht gut, und trotzdem ist eines der am häufigsten
gehörten Wörter in unserer Alltagssprache »mäßig«. Manche
Gespräche strotzen geradezu vor Mäßigkeiten: »Und wie
klappt es bei dir so, beruflich und privat?« − »Jobmäßig läuft
alles normal, urlaubsmäßig haben wir zwar noch keine
Pläne, aber beziehungsmäßig sind wir im Moment total hap-
py, das lässt sich nicht anders sagen!«
Doch, will man spontan widersprechen, das lässt sich an-
ders sagen! In gemäßigterer Form nämlich, ohne all die über-
flussmäßigen Wortanhängsel. Stilistisch ist so ein Rede-
beitrag nämlich eine Zumutung; notenmäßig bekäme er
bestimmt kein »Gut«, nicht einmal ein »Befriedigend«, son-
dern bestenfalls ein »Mäßig«.
Tatsächlich, um nicht zu sagen»tatsachenmäßig« lässt sich
feststellen, dass die Deutschen auf das Suffix»-mäßig« nicht
mehr verzichten können. Selbst der Duden räumt ein, dass
das Wort »mäßig« heute »eine überaus große Rolle als Suf-
fix« spiele. Ursprünglich, wenn nicht gar »ursprungsmäßig«
geht »mäßig« auf »Maß« zurück, und bei den Begriffspaaren
gleichmäßig/Gleichmaß, ebenmäßig/Ebenmaß und mit-
telmäßig/Mittelmaß lässt sich die unmittelbare Verwandt-
schaft nicht leugnen. Doch was sind Jobmaß, Urlaubsmaß
und Beziehungsmaß? Von Maßhalten kann angesichts der
inflationsmäßigen Verbreitung der Endung keine Rede sein.
Die Zeiten sind vorbei, da man dieses Phänomen noch als
Jugendjargon oder WG-Küchengeschwätz abtun konnte.
Inzwischen hat »mäßig« sämtliche Bereiche unserer Gesell-
schaft erfasst. Es treibt sich im Sport herum (»Das heimi-
sche Team muss sich angriffsmäßig schon etwas einfallen
lassen, um das Bollwerk zu knacken«), es wabert durch die
Wirtschaft (»Die Zuwachsraten lagen auch im vergangenen
Jahr im guten zweistelligen Bereich: umsatzmäßig wie auch
renditemäßig«) und ist selbstverständlich auch in der Politik
anzutreffen, wo man sich ausdrucksmäßig bekanntlich stets
um äußerste Präzision bemüht.
Wenn die Mitglieder eines Kabinetts oder einer Kommis-
sion sich in einer bestimmten Frage nicht einigen können
oder schlichtweg keine Meinung haben, dann heißt es neu-
erdings, man habe sich noch nicht »beschlussmäßig positio-
niert«. In der Sache also kein Ergebnis, aber wischiwaschi-
mäßig ein Volltreffer. Das ist Schaumschlägerei auf mäßig
hohem Niveau. »Mäßig« hilft dabei, die Grammatik zu über-
listen. Störende Gedanken über den richtigen Gebrauch von
Präpositionen und Artikeln entfallen wie auch das Nach-
denken über die korrekte Deklination. Statt »Mit den Plätzen
hatten wir großes Glück« sagt man: »Platzmäßig hatten wir
großes Glück.« Mäßig ist schnell und bequem. Die Ab-
stumpfung hat gesiegt.
Nicht einmal das Militär ist gegen die sprachliche Unter-
wanderung geschützt: So war von einem General zu lesen,
der sich redlich Mühe gab, die Sorge zu zerstreuen, »dass si-
cherheitsmäßig ganz Afghanistan aus der Balance geraten
könnte«.
»Wichtig ist jetzt erst einmal, überhaupt die Bereitschaft
hinzubekommen, sich auf unsere Bedingungen diskussions-
mäßig einzulassen«, beschwor derweil eine Grünen-Politi-
kerin − vermutlich vergebens − die diskussionsresistente In-
dustrie.
Psychologen wissen: »Eine kopfmäßige Überzeugung führt
noch lange nicht zu einer Bewusstseinsänderung oder Än-
derung der Wertmaßstäbe«, und mancher heutige Ober-
klassenwagenbesitzer erinnert sich lächelnd, dass er sich in
den Siebzigern »automäßig für einen knallbunten R4 ent-
schieden« habe. Ach ja, die goldenen Siebziger! Würde Hans
Rosenthal noch leben und bei »Dalli Dalli« in die Luft sprin-
gen (»Das war
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