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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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salonfähig, auch wenn die Zahl ihrer Befürworter stetig wächst.
     
    Ob »Othello« nun ein Stück ist, »wo« es um einen eifersüchtigen Mohren geht oder »in dem« es um einen solchen geht, bleibt dem Sprachgefühl des Einzelnen überlassen. Die heutige Grammatik lässt beides zu. Ob aber Othello derjenige ist, »der wo« seine Frau Desdemona am Ende erdrosselt, ist relativ unstrittig. In einigen Regionen dient das »wo« zur Verstärkung der Relativpronomen »der«, »die« und »das« und macht zum Beispiel aus der Oper, die wir letztens gesehen haben, die Oper, die wo wir letztens gesehen haben. In Hessen zum Beispiel. Im Internet kann man an einem Sprachtest »fer alle Hesse und die, die wo’s wern wolle«, teilnehmen.
     
    Im Süden wird das »wo« auch gern anstelle von »der«, »die«, »das« verwendet. In der Pfalz zum Beispiel. Die wu do unnä herkumme, wisse’ B’scheid. Der in Neustadt an der Weinstraße geborene Fußballspieler Mario Basler soll auf die Frage, wie er sich mit seinem Teamkollegen Youri Djorkaeff (damals beide beim 1. FC Kaiserslautern) verständige, gesagthaben: »Ich lerne nicht extra Französisch für die Spieler, wo dieser Sprache nicht mächtig sind.« Ein weiterer berühmter Vertreter des Wowoismus ist Jürgen Klinsmann. Ihm wird das Zitat zugeschrieben: »Das sind Gefühle, wo man schwer beschreiben kann.« Als Hommage an Klinsmann lief auf SWR3 zur Fußball-WM ein Comedy-Programm mit dem Titel »Mir sin die, wo gwinne wellet«. Ins Hochdeutsche übersetzt: »Wir sind die, die gewinnen wollen«. Jürgen Klinsmann stammt übrigens aus Baden-Württemberg. Und die Baden-Württemberger sind bekanntlich die, wo alles können außer Hochdeutsch.
    12 Diese Wendung geht auf die Bibel zurück (2. Moses 3,8) und wird meistens im Singular wiedergegeben (»wo Milch und Honig fließt«). Mehr zur Singular/Plural-Problematik im folgenden Kapitel »Gebrochener Marmorstein«.

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    Gebrochener Marmorstein
    Am 9. Juni 2006 starb der Sänger Drafi Deutscher im Alter von 60 Jahren. Er hinterließ »Cinderella Baby« und »Cindy Lou« und viele andere Hits. Unsterblichen Ruhm erlangte er jedoch mit einer Liedzeile, die bis heute heftig umstritten ist. Zu Unrecht, wie sich zeigen wird.
    »Marmor, Stein und Eisen bricht« sang Drafi Deutscher 1965. Ein Schlager, der fast zu einer Art Volkslied geworden ist. Und der immer wieder gern zitiert wird, wenn es um Sprache und Schlager geht. Nicht nur wegen der be-deutungsvollen Worte »dam dam, dam dam«, sondern vor allem wegen der Titelzeile. Die enthält eine Aufzählung von drei Materialien: Marmor, Stein und Eisen. Für manche sind es nur zwei, denn Marmor und Stein seien in Wahrheit ein Wort: »Marmorstein« – so wie Tannenbaum und Fensterglas. Marmor sei ja schließlich eine Gesteinsart, folglich sei die Unterscheidung zwischen Marmor einerseits und Stein andererseits nicht besonders ergiebig. Aber darum geht es hier nicht. Es geht um das letzte Wort der Zeile, um das Verb »bricht«. Sprachpuristen werden nämlich nicht müde zu monieren, dass hier ein Fehler vorliege. Es müsse »brechen« heißen, sagen sie. Schließlich bestehe das Subjekt des Satzes aus mehreren Teilen, folglich müsse das Verb im Plural stehen: Marmor, Stein und Eisen brechen. Dam dam, dam dam.
     
    Manche kennen eben nur Schwarz und Weiß. Die Dichtung indes kennt auch die vielen Farbtöne dazwischen. Bei der Aufzählung artverwandter Dinge wird in der Dichtung gelegentlich die Einzahl gebraucht. Dafür lassen sich diverse berühmte Beispiele nennen: Wer wollte behaupten, in demLied »Hänschenklein« würde falsches Deutsch verbreitet, weil es dort heißt »Stock und Hut steht ihm gut« statt »stehen ihm gut«? Wer wollte den bekannten Vers des Dichters August Schnezler, »Gold und Silber lieb ich sehr, kann’s auch gut gebrauchen«, in »kann sie auch gut gebrauchen« ändern?
     
    Ein jeder kennt Redewendungen wie »Gleich und gleich gesellt sich gern« oder »Da ist Hopfen und Malz verloren«. Die heißen nicht etwa »Gleich und gleich gesellen sich gern« oder »Da sind Hopfen und Malz verloren«. Und viele erinnern sich auch noch an den traditionellen Wunsch beim Einzug: »Brot und Salz – Gott erhalt’s«. Der lautete ja nicht »Brot und Salz – Gott erhalt sie«. Und nicht nur Uschi weiß: »Glück und Glas – wie leicht bricht das« – wer wollte ernsthaft behaupten, es müsse »Glück und Glas – wie leicht brechen die« heißen?
     
    Drafi

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