Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3
Instrumentenkoffer als »Instrumentekoffer« einen unsoliden Eindruck macht. Und der »spezielle Textiltapete-Kleister«, den ein Händler führt, hält vermutlich nicht besser als normaler Textiltapeten-kleister.
In einigen Fällen führt der Verzicht auf das Fugen-n sogar zu einer Sinnentstellung, so wie im Beispiel der Behindertentoilette, die auf zahlreichen Hinweisschildern kurioser-weise als »Behinderte-Toilette« ausgewiesen wird.
Wenn Unbefugte sich an der Sprache zu schaffen machen und dabei unverfugte Lücken schaffen, dann entsteht Unfug.
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Voll und ganz verkehrt
Wer ganze Arbeit leistet, der hat auch ein Recht auf vollen Lohn. Doch kaum jemand, der Vollzeit arbeitet, arbeitet die ganze Zeit. Wer ganze Stadien füllt, der füllt nicht volle Stadien, sondern leere. Manch einer hat volle acht Jahre studiert, ein anderer ganze acht Jahre. Wie es aussieht, sind voll und ganz nicht voll und ganz dasselbe.
Es gibt in unserer Sprache viele Wörter, die auf den ersten Blick dasselbe zu bedeuten scheinen, die aber bei genauerer Betrachtung alles andere als gleichbedeutend sind. So wie »scheinbar« und »anscheinend« oder »gut« und »schön«. Zu diesen Wörtern gehören auch »voll« und »ganz«. Zwar können sie durchaus dasselbe, nämlich »vollständig« oder »restlos«, bedeuten, so wie in diesen Beispielen: »Er war wieder ganz (= vollständig) gesund« – »Der Bus war voll (= vollständig) besetzt«.
Und doch sind »voll« und »ganz« nicht beliebig austauschbar. In der Standardsprache klingt die Aussage »Er war wieder voll gesund« ungewohnt. Dasselbe gilt für »Der Bus war ganz besetzt«. Was nicht heißen soll, dass nichts »ganz besetzt« sein könne. Im Jahre 50 vor Christus war immerhin Gallien ganz besetzt. Ganz? Nun, wir wissen es besser. 13 Auf keinen Fall aber war Gallien »voll besetzt«, auch wenn das Land voller Römer war.
Wenn der Chef auf der Betriebsfeier mit lustigen Geschichten und Gesangseinlagen glänzt, wie er sie schon langenicht mehr zum Besten gegeben hat, dann raunen sich die Mitarbeiter zu: »Heute ist er wieder ganz der Alte!« Es ist nicht davon auszugehen, dass sie sich sagen: »Heute ist er wieder voll der Alte.« Vorstellbar wäre höchstens: »Mann, ist der Alte heute wieder voll!«
Es besteht also ein Unterschied zwischen »voll« und »ganz«. Das ist uns im Grunde auch allen klar, meistens entscheiden wir uns intuitiv für das Richtige. Aber eben nicht immer. In einigen Fällen, wenn »voll« und »ganz« zu Adjektiven umgerüstet und vor Zahlwörter gestellt werden, um die Vollheit oder Ganzheit einer Menge anzuzeigen, dann wird es schwierig, dann lässt uns unser Sprachgefühl bisweilen im Stich.
Heißt es nun: Die Zahnarztbehandlung dauerte volle drei Stunden – oder ganze drei Stunden? Viele glauben, dass hier kein Unterschied bestehe, doch das ist nicht ganz richtig, denn es gibt eine nicht unerhebliche Nuance in der Bedeutung. Wenn die Behandlung »volle drei Stunden« dauerte, dann dauerte sie »nicht weniger als« drei Stunden. Man könnte auch von »gut drei Stunden« sprechen. »Ganze drei Stunden« sind zwar nicht weniger als volle drei, doch werden sie anders bewertet, denn »ganze drei« bedeutet »nicht mehr als drei Stunden«.
Der Unterschied wird im folgenden Beispiel deutlicher: »Hunderte sind bei dem Grubenunglück verschüttet worden. Ganze drei Bergarbeiter konnten gerettet werden.« Gemeint ist: Leider gab es nicht mehr als drei Überlebende. Das Wort »volle« wäre an dieser Stelle unpassend; dafür passt es wiederum im nächsten Satz: »Die Rettungsmannschaften brauchten volle sechs Tage, um das Wasser abzupumpen.« Denn »volle« steht hier für »nicht weniger als«.
»Bei großer Wärme dehnt sich das Metall aus, und der Turm wächst um ganze 15 Zentimeter in die Höhe«, konnte man vor einiger Zeit in der »Neuen Post« über das rätselhafte Sommerwachstum des Eiffelturms lesen. Die mathematisch erstaunliche Schlussfolgerung des Redakteurs (»Dann ist er nicht mehr 324 Meter, sondern 339 Meter hoch«) verschaffte dem Artikel prompt einen Platz im »Hohlspiegel« (»Spiegel« 11/2006). Die Aussage ist aber noch unter einem anderen Aspekt interessant: Sind es denn nun wirklich »ganze« 15 Zentimeter oder womöglich »volle«? »Ganze 15 Zentimeter« bedeutet »nicht mehr als 15 Zentimeter«; und wer um diese Bedeutung weiß, für den hört es sich so an, als würde das Wachstum des Eiffelturms
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