Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5
Zwiebelfischs: Sehr geehrter Hoffnungsträger und Haushaltshelfer! Wie schön, dass Sie sich noch des Liedes von Johanna von Koczian erinnern! Das war in meiner Jugend ein großer Hit. Ich war damals zwölf und hatte für Haushaltsfragen nur wenig Verständnis. Die Hitparade habe ich mir trotzdem immer gern angesehen, vom bisschen Haushalt bis zum bisschen Frieden.
Dass es »das bisschen Hoffnung« und »das bisschen Haushalt« heißt, liegt am Wort »bisschen«. Dieses ist ein Diminutivum, ein Verkleinerungswort: der kleine Biss (oder Bissen) wird zum »Bisschen«. Eigentlich müsste »bisschen« daher großgeschrieben werden. Und das wird es auch noch, wenn wirklich »ein kleiner Bissen« gemeint ist:
Meistens aber gebraucht man »bisschen« als Mengenwort Anmerkung , in der Bedeutung von »etwas« oder »wenig«. Da es in dieser Funktion als Hauptwort »verblasst« ist, wie die Sprachwissenschaft es auszudrücken pflegt, wird es kleingeschrieben, und das war auch schon zu Zeiten der alten Rechtschreibung so.
In dem Lied »Das bisschen Haushalt« fungiert »bisschen« also als ein Mengenwort und wird folglich kleingeschrieben. Ein Rest seines ursprünglichen Hauptwortcharakters ist ihm allerdings noch geblieben; dieser offenbart sich in dem neutralen Artikel »das«. Insofern ist »bisschen« auch als Mengenwort immer noch »ein bisschen Hauptwort«. Da kann der Haushalt noch so männlich sein, die Hoffnung noch so weiblich: Wenn »bisschen« davor steht, dann regieren nicht der Haushalt oder die Hoffnung den Artikel, sondern das sächliche »bisschen«.
Anders bei »wenig«; da heißt es nicht »das wenige Haushalt« oder »das wenige Hoffnung«, sondern »der wenige Haushalt« oder »die wenige Hoffnung«. Was daran liegt, dass »wenig« ein reines Mengenwort ist, welches – im Unterschied zum kleinen Bissen – nie ein Hauptwort war und deshalb auch kein Geschlecht vorgeben kann.
Trotzdem lässt sich auch das Mengenwort »wenig« substantivieren, das heißt zum Hauptwort machen: Es gibt »das Wenige« genauso wie »das Viele«. (Beispiel: »Das Wenige, was es im Haushalt zu tun gibt, macht sich praktisch von allein.«) Nach alter Rechtschreibung wurden »das wenige« und »das viele« noch ausnahmslos kleingeschrieben. Inzwischen ist hier aber auch die Großschreibung zulässig, da es sich eben um Hauptwörter handelt. Und die Rechtschreibreform wollte ja für eine Vereinheitlichung sorgen, wozu gehört, dass Hauptwörter konsequent großgeschrieben werden.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit dem bisschen Geschreibe ein bisschen weiterhelfen, und genehmige mir nun ein herzhaftes Bisschen in mein Pausenbrot!
Dem Kaiser seine neuen Kleider
Der Genitiv ist ein schmückendes Accessoire, ein sprachlicher Luxus. Wirklich notwendig ist er nicht. Viele Menschen kommen ihr ganzes Leben ohne ihn zurecht. Vielleicht wird der Genitiv eines Tages komplett verschwunden sein. Dann wird man die Literatur neu bearbeiten müssen. Diese Geschichte liefert schon mal einen Vorgeschmack.
In den vergangenen Jahren bin ich mit meinen Büchern oft auf Reisen gewesen, zahlreiche Buchhandlungen haben mich zu Lesungen eingeladen, und so habe ich viel von Deutschland gesehen und erfahren. Eines tristen Tages gelangte ich denn auch in die schöne Stadt Köln. Oder war es umgekehrt: War der Tag schön und die Stadt war … Düsseldorf? Nein, es war Köln, dessen bin ich sicher.
Ein gewisser Herr Schmitz hatte mich für einen Vortrag gebucht. Und ich hatte mich gut vorbereitet, denn ich wusste, dass ich mich in ein grammatisches Entwicklungsgebiet begab. Herr Schmitz empfing mich auf eine liebenswürdige Art, wie es nur die Kölner können. Kurz bevor es losging, nahm er mich zur Seite und raunte mir ins Ohr: »Eines noch, Herr Sick, das müssen Sie noch wissen. Der Genitiv, der ist bei uns hier in Köln praktisch tot. Den kennt hier keiner, den braucht auch keiner. Ihr Publikum heute Abend, das sind alles Kunden von meiner Firma, alles waschechte Rheinländerinnen und Rheinländer. Die sind auch ohne Genitiv schon jeck, verstehen Sie? Die muss man nicht noch zusätzlich verunsichern. Lesen Sie einfach irgendeine von Ihren lustigen Geschichten, ganz egal welche, aber lassen Sie den Genitiv aus dem Spiel!« Als er meines entsetzten Gesichtsausdrucks gewahr wurde, klopfte er mir aufmunternd auf die Schulter und sagte: »Sie machen das schon!«
Und bevor ich noch etwas erwidern konnte, war Herr Schmitz schon aufs Podium gestiegen und
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