Der demokratische Terrorist
Gesichter seiner Verwandten kann ich mir vorstellen.«
»Ich würde gern wissen, ob Mozart selbst dabei war und dirigierte. Dieses Zusammenspiel zwischen Fagott und Orchester ist ohne einen guten Dirigenten ja kaum denkbar.«
»Nein, das glaube ich nicht. Er hatte doch wohl nur das Stück verkauft? Wäre er selbst dabei gewesen, wäre die Geschichte zu durchsichtig gewesen. Vielleicht hat dieser Freiherr sogar so getan, als wäre er Komponist.«
»Darauf dürften seine Mitmusiker kaum hereingefallen sein.«
»Nein, aber er dürfte sie gut dafür bezahlt haben, daß sie das Maul hielten und spielten.«
Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander. Carl dachte weiter über das Fagottkonzert nach. Ihm fielen einige Ähnlichkeiten mit seiner eigenen Situation auf. Er hatte sein gesamtes berufliches Wissen aufgeboten, um das Unternehmen gegen die amerikanische Botschaft in Stockholm zu planen; das gesamte berufliche Wissen, das er nach fünfjähriger Ausbildung unter anderem bei den Special Intelligence Forces der US Navy erworben hatte.
Noch spielten die Terroristen mit ihm. In dem wohl professionellsten Planspiel, das sie je mitgemacht hatten. Im Umgang mit RPG’s waren sie Dilettanten, so wie Freiherr von Dürnitz im Fagottspiel.
Inzwischen hatten Monika und Carl die Häuserblocks um das Rathaus erreicht. Der häßlichen Architektur der fünfziger Jahre nach zu schließen, mußte das gesamte Gebiet im Krieg dem Erdboden gleichgemacht worden sein. Aber als sie um eine Ecke bogen, öffnete sich überraschend ein weitläufiger Platz, der die Atmosphäre vollkommen veränderte. Wo einmal eine Kirche gestanden hatte, ragten nur noch der Turm und ein Teil der Außenmauern in die Höhe. Sie betraten das einstige Kirchenschiff durch einen Seiteneingang und gelangten auf einen kleinen, mit Steinplatten belegten Platz. Sie blickten in den schwarzen Abendhimmel. Es hatte zu schneien begonnen.
Schwere Schneeflocken fielen langsam zur Erde. Es ist wie beim ersten Schnee im November in Schweden, dachte Carl.
»Das ist die Nikolai-Kirche. Die mußte ich dir unbedingt zeigen«, sagte sie und zog Carl an sich.
Sie blieben eine Weile Wange an Wange stumm stehen und blickten zu dem hohen, freistehenden Turm hinauf, der den Bombenangriffen widerstanden hatte und trotzig in den Himmel ragte. Monika flüsterte ihm ins Ohr, die Nikolai-Kirche sei 1943 bombardiert worden. Die Ruine sei ein Mahnmal zum Gedenken an den Krieg und seine Opfer; damals, 1943, gut zehn Jahre vor ihrer Geburt, habe die Welt geglaubt, Deutschland und die Nazi-Ideologie mit Bomben auslöschen zu können.
»Schließ die Augen und versetz dich zurück«, sagte sie. »Genau hier, wo wir jetzt stehen, fielen die Sprengbomben, und die ganze Kirche schien in Feuer und Explosionen zusammenzustürzen.
Wer wären wir wohl gewesen, wenn wir 1943 hier gestanden hätten?«
»Es hätte uns vielleicht gar nicht gegeben. Wir wären Nazigegner gewesen und hätten uns vielleicht erst in Buchenwald kennengelernt. 1943 hätten wir bestimmt nicht hier gestanden.«
»Meinst du, wir hätten uns einer Widerstandsbewegung angeschlossen?«
»Gab es eine in Deutschland? Mal ehrlich: Waren nicht so gut wie alle für den Nazismus?«
»Die meisten Regimegegner gab es damals so wenige wie heute.
Wir sind auch nur ein kleines Häuflein. Und statt Buchenwald heißt es heute Stammheim.«
»Falls du mal in Stammheim landen solltest: Weswegen würde man dich verurteilen?«
»Denen würde schon was einfallen, was, spielt keine Rolle. Wir bekommen Strafen zwischen ein und dreimal lebenslänglich, ob sie Beweise haben oder nicht. Darauf kommt es gar nicht an.«
»Aber bist du denn schuldig? Ich meine aus ihrer Sicht? Hast du mal etwas Größeres mitgemacht, etwas anderes als Banküberfälle?«
Er tastete nach seinem Pistolenmagazin in der Tasche. Er kämpfte mit der Versuchung, die Patrone hineinzudrücken, bevor er und Monika in die Wohnung zurückkehrten. Eine warme Welle der Verzweiflung und der Zärtlichkeit durchflutete ihn. Er wollte nicht mitansehen, wie sie von einem GSG 9- Trupp fortgeschleift wurde. Jetzt blieben nur noch ein paar Stunden.
»Ich bin zwei Jahre in München stationiert gewesen«, sagte sie, als erklärte das alles.
»Ja? Und an welchen Aktionen bist du beteiligt gewesen?«
»Einmal bei der Liquidierung von Karl-Heinz Beckurts. Seinen Fahrer mußten wir auch erschießen.«
»Wer war das?« fragte Carl, obwohl er die Antwort sehr wohl
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