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Der demokratische Terrorist

Der demokratische Terrorist

Titel: Der demokratische Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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befinde, auf die ein Kopfgeld von 250000 Mark ausgesetzt sei, sei es nicht gerade angenehm, mit ihnen hoch oben in einem Hochhaus zu wohnen.
    Er werde hier mit anderen Worten nicht so gut schlafen wie in der Hafenstraße.
    Seine »Gastgeber« hatten an der Wohnungstür eine Sprengladung von einem Kilogramm TNT angebracht. Wer den Versuch machte, mit Gewalt in die Wohnung einzudringen, würde zusammen mit einer unbekannten Zahl von Nachbarn nebenan und ein Stockwerk tiefer sterben. Der Hintergedanke war, daß das nachfolgende Chaos wenigstens eine theoretische Möglichkeit bot, ein paar Stockwerke hinunterzulaufen, ein paar Geiseln zu nehmen und dann auf dem Verhandlungsweg nach draußen zu kommen. Es sei nicht wahrscheinlich, daß es klappen würde, meinte die Kunkel, aber man wolle nicht einfach aufgeben und zumindest das Vergnügen haben, mit ein paar Bullen zur Hölle zu fahren.
    Carl gefiel die Idee ganz und gar nicht, nicht so sehr wegen der Bullen als vielmehr wegen der Vorstellung, ein Hausmeister auf der Jagd nach einer undichten Rohrleitung könnte die Tür zum falschen Zeitpunkt öffnen. Er wandte ein: »Ziehen wir damit nicht unnötige Aufmerksamkeit auf uns?
    Abgesehen davon, daß ihr schon wieder plant, unschuldige Menschen umzubringen, gegen die ihr ja wohl nicht das geringste einzuwenden habt. Und soviel Krawall wegen einer undichten Rohrleitung? Und dann nichts wie raus und losrennen wie der Teufel, bevor Feuerwehr und Polizei das ganze Viertel abgeriegelt haben? Wäre es nicht besser, Gasmasken und Handfeuerwaffen in greifbarer Nähe zu haben? Denn wenn es tatsächlich die Polizei ist, die hier hereinstürmt, werden sie so sicher wie das Amen in der Kirche mit Tränengas anfangen und außerdem schußsichere Westen tragen, oder? Na ja, hoffen wir auf eins: daß sie nicht kommen.«
    Die große Wohnung nahm die beiden obersten Stockwerke des Hauses ein. Im Obergeschoß lagen drei Zimmer, zwei Schlafzimmer und ein großes Wohnzimmer mit Balkon. Carl erhielt eins der Schlafzimmer.
    Seine »Gastgeber« wünschten nicht, daß er selbst in die Hafenstraße ging, um seine Hotelrechnung zu bezahlen und seine Sachen aus dem Zimmer zu holen. Sie sagten, sie könnten jemanden schicken, der sich in diesem Viertel gut auskenne und im übrigen schon mal in seinem Zimmer gewesen sei. »Hast du das überhaupt gemerkt?« Carl hielt es für richtiger, diese Frage mit nein zu beantworten, und nahm sich gleichzeitig fest vor, eine gewisse Erika und ihren Freund einzusammeln, wenn alles vorbei war.
    Ein paar Stunden später am selben Abend erhielt er seine Sachen aus dem Hotelzimmer zurück: die Reisetasche mit den paar Kleidungsstücken, den Kassettenrecorder mit den Kassetten sowie knapp 7000 Mark, die er unter dem Korkteppich versteckt hatte. Auf seine Aufforderung hin hatte man den Boten auch angewiesen, die Rechnung zu bezahlen.
    Jetzt ließen sie ihn in Ruhe, um ihm »Zeit zum Nachdenken zu geben«. Der Grund dafür, daß sie ihm nur einigermaßen trauten, aber nicht ganz, lag darin, daß sie mit einem anderen Kommando in der Stadt, einer anderen Gruppe, eine Übereinkunft getroffen hatten. Sie hatten sich darauf geeinigt, Carl nach dem ersten Kontakt nicht einfach davonspazieren zu lassen. Sie waren sich in der Frage der Kontaktaufnahme überdies ziemlich uneins gewesen, wie er den Andeutungen Friederike Kunkels hatte entnehmen können.
    Es gab in Hamburg also zwei Terroristengruppen. Das war auch logisch: Je ein Angehöriger der beiden Gruppen hatten miteinander telefoniert, und das Gespräch zwischen einer bestimmten Telefonzelle und dem Restaurant Cuneo war irgendwo auf St. Pauli abgehört und mitgeschnitten worden. Er hatte jetzt die eine Gruppe aufgespürt. Die Frage war, ob das schon genügte, oder ob man sich dafür entscheiden sollte, ihn mit seinem Bankraub-Theater weitermachen zu lassen, bis man auf beide Gruppen den Zugriff hatte. Das hatte jedoch nicht er zu entscheiden.
    Im Wohnzimmer nebenan stand eine riesige Stereoanlage der Marke Sony, die mehrere zehntausend Mark gekostet haben mußte, denn Diebesgut ließen sie hier bestimmt nicht herumstehen.
    Carl hatte eine seiner Kassetten eingeschoben, eine Klaviersonate von Beethoven, stellte sich neben die Balkontür und blickte über Hamburg und die Elbe hinaus. Schmaals Hotel in der Hafenstraße war ohne weiteres zu erkennen. Gegenüber, auf der anderen Elbseite, lag ein Trockendock mit der weißen Aufschrift: BLOHM + Voss DOCK S.
    Carl dachte über die

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