Der demokratische Terrorist
Der Schuß geht daneben. Da man sich schon in einer Drehbewegung befindet, hat die rechte Hand freie Bahn, und was mich betrifft, hätte ich den Kehlkopf eingeschlagen. Ein solcher Schlag ist im schlimmsten Fall tödlich. Der Angegriffene muß schnellstens ärztlich versorgt werden, damit die Schwellung nicht zum Ersticken führt. Nun ja, du wärst auf dem Weg um den Wagen herum in diese Lage gekommen, sie saß auf dem Rücksitz, und ich hatte einen Revolver und eine Pistole bei mir. Das wäre übel ausgegangen.«
»Wohin wolltest du schlagen, sagtest du?« fragte Monika Reinholdt, diesmal zum erstenmal ohne jedes Lächeln. Sie hatte das englische Wort für Kehlkopf nicht verstanden.
»Auf den Kehlkopf«, erwiderte Carl kurz und zeigte mit dem Zeigefinger. Es gab einen ironischerweise ganz selbstverständlichen Grund dafür, daß er diese ungewöhnliche deutsche Vokabel kannte. Gerade über sie, Monika Reinholdt, hieß es auf dem Fahndungsplakat, das er inzwischen auswendig kannte, unter anderem: »…170cm groß, zwei Muttermale (Warzen) oberhalb des linken Mundwinkels, Muttermal links vom Kehlkopf, trägt zeitweise getönte Brille… «
Und sie hatte ja tatsächlich ein Muttermal links von ihrem Kehlkopf. Carl gab sich Mühe, es nicht anzustarren.
»Ich heiße übrigens Carl Gustaf Gilbert Hamilton«, fuhr er in einem neuen und jetzt doppelt notwendigen Versuch fort, das Thema zu wechseln; es war lebensgefährlich, ihre Namen zu kennen, ohne es zeigen zu können. »Wenn ihr also nichts dagegen habt: Ich kenne nur den Namen von einem von euch, von Martin Beer. Also, wie heißt ihr?«
Die Blicke aller richteten sich automatisch auf Friederike Kunkel - ein weiterer Hinweis darauf, daß sie eine Art Chef der Bande war. Sie zögerte einen Augenblick, bevor sie sich entschloß.
»Ich heiße Friederike Kunkel«, sagte sie kurz.
Carl blickte fragend auf den neben ihr sitzenden Werner Porthun.
»Werner«, brummte dieser kaum hörbar. Carl hob die Augenbrauen, schaffte es aber nicht, den Nachnamen zu erfahren.
Dann blickte er an dem gegenüber auf dem Stuhl sitzenden Martin vorbei zu Monika Reinholdt hin.
»Ich heiße Monika Schramm«, sagte Monika Reinholdt.
»Sabine Lüders«, sagte Eva Sybille Arndt-Frenzel.
Verflucht, dachte Carl, zwei richtige Namen, ein richtiger Vorname oder Nachname, ein richtiger Vorname mit falschem Nachnamen und ein falscher Vorname in Verbindung mit einem falschen Nachnamen. Es wäre besser gewesen, überhaupt keine Namen zu erfahren, dachte er. Früher oder später bringe ich das alles durcheinander.
»Wir sollten vielleicht wieder zur Tagesordnung übergehen und Nägel mit Köpfen machen«, sagte Friederike Kunkel in einem Tonfall, der klar erkennen ließ, daß die Große Vorsitzende wieder das Kommando führte. »Wir haben dich ja nicht… äh… nicht hergebeten, um politische Konversation zu treiben.
Die Frage lautete ganz einfach, ob wir uns deine Kenntnisse zunutze machen können.«
»Die Frage ist nicht kristallklar formuliert«, entgegnete Carl mit spürbarer Ironie. »Was soll das heißen? Soll ich etwa für euch im Schwarzwald ein Trainingslager aufmachen oder was?«
»Nein, die Frage lautet, ob wir mit deiner Hilfe eine große Aktion durchführen könnten.«
»Wenn das so ist, lautet die Antwort nein. Ein klares, glattes Nein.«
»Und warum?«
»Ich dachte, das hätte ich schon erklärt. Ich gebe mich nicht mit Einzelmorden ab wie ihr. Ich halte derlei für schädlich und in jeder Hinsicht zum Scheitern verurteilt. Es wäre daher völlig absurd, mich selbst in solche Abenteuer zu stürzen.«
»Wenn es aber darum geht, zunächst gegen eine oder mehrere amerikanische und westdeutsche Botschaften zuzuschlagen, unter anderem in Stockholm, und zwar genauso, wie du es selbst beschrieben hast. Du kannst es nicht, weil du allein bist. Wir haben es nicht machen können, weil uns deine Fachkenntnisse fehlten. Das war doch der Hauptpunkt deiner Kritik an uns. Nun?«
Carl sah sich genötigt, zum Schein eine Denkpause einzulegen.
Er war in seiner eigenen Argumentation »gefangen«. Er konnte den Vorschlag nicht ohne weiteres zurückweisen, wollte aber auch nicht allzu schnell einen Sinneswandel zeigen.
»Was ich über eure Aktionen weiß, habe ich meist aus den Zeitungen«, begann er in leicht entschuldigendem Tonfall.
»Demnach verpatzt ihr jede zweite Aktion. Ihr laßt Handgranaten fallen, so daß eure eigenen Leute in die Luft fliegen, die Bomben explodieren nicht, ihr
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