Der demokratische Terrorist
beiden Bankraub-Szenarien nach, um herauszufinden, welcher Möglichkeit er den Vorzug geben sollte. Er kam zu einer klaren Entscheidung: Ohne jeden Zweifel wäre es besser, allein zu operieren, unter anderem, weil es höchst unsicher war, ob er den Verlauf unter Kontrolle halten konnte, wenn er drei oder vier Terroristen bei sich hatte, die keineswegs gewillt zu sein schienen, sich ohne einen Schußwechsel festnehmen zu lassen. Wie sollte er sich verhalten, wenn plötzlich Polizei auftauchte oder wenn sich jemand in den Kopf setzte, Geiseln zu nehmen? Sollte er dann auf die anderen »Bankräuber« schießen?
Die Entscheidung lag jedoch nicht bei ihm. Der Verfassungsschutz mußte sich zu dem Problem äußern: Sollte man sich mit der Gruppe begnügen, die schon in der Falle saß, oder sollte er abwarten und mitspielen, bis die zweite Terroristenzelle aufgespürt war? Wenn er aber keine Möglichkeit mehr erhielt, über sein Schließfach im Hauptbahnhof Kontakt aufzunehmen, bevor der Bankraub stattfand? Mußte er nicht davon ausgehen, daß die Terroristen ihn in einer Art freiwilligem Arrest festhalten würden, zumindest bis der Bankraub erledigt war?
Andererseits waren die beiden Bankfilialen, die der Verfassungsschutz ausgewählt hatte, ziemlich sichere Sachen. Wenn ein Bankraub fünf eingefangene Terroristen wert war, mußten zwei Banküberfälle zehn Terroristen aufwiegen.
Jemand kam die Wendeltreppe herauf. Es war Monika. Sie hielt eine Weinflasche und zwei Gläser in den Händen.
»Findest du d-Moll eine passende Tonart, wenn man sich entscheiden soll?« begrüßte sie ihn, während sie zum Couchtisch ging, sich hinsetzte und die Weinflasche aufmachte. Der Form der Flasche nach zu urteilen war es ein Moselwein.
»Hast du das absolute Gehör? Woher weißt du, daß es d-Moll ist?« wollte Carl wissen, als er sich neben sie auf das Sofa setzte.
»Nein, ich habe ein gutes Gehör, aber nicht das absolute. Ich weiß aber, daß es die Sonate Nr. 17, opus 91 ist, folglich d-Moll, zweiter Satz.«
Sie schenkte ein und reichte Carl ein Glas und hob ihres zu einem kurzen Prosit. Es war tatsächlich ein Mosel.
»Ich kann mir weder Tonarten noch Opus-Nummern merken. So etwas imponiert mir«, sagte er und nippte an dem Wein, der sich als unerwartet trocken erwies.
»Na, so etwas Besonderes war es auch nicht. Ich wollte mal Pianistin werden. Ich habe siebzehn Jahre lang gespielt.«
»Und jetzt hast du aufgehört?«
»Ja.«
»Warum?«
»Weil die Musik sozusagen zu meiner Personenbeschreibung gehört. Falls einer der Nachbarn Verdacht schöpfen und sich in den Kopf setzen sollte, daß wir gesuchte Terroristen sind und einer von uns den ganzen Tag lang Klavier spielt… Na ja, du verstehst schon.«
»Aha, von der Pianistin zur Terroristin. Scheint eine seltsame Kursänderung im Leben zu sein. Warum bist du Terroristin geworden?«
»Du verwendest diesen Begriff?«
»Ja. Warum bist du Terroristin geworden?«
Sie erzählte ruhig und in einem leichten Plauderton: »Ich schloß mich der antiimperialistischen Bewegung an und war vor allem gegen die Apartheid. Ich verliebte mich in einen jungen Mann namens Dieter. Er war die treibende Kraft und organisierte unter anderem die Besetzung eines Unternehmens, das mit Südafrika Handel trieb. Wir hatten Parolen an die Wände gemalt, Spruchbänder ausgebreitet, na ja, das übliche, bis die Polizei kam und die Türen aufsprengte und Tränengas warf und uns mit Gummiknüppeln zusammenschlug. Auf der Wache wurden wir fotografiert und erkennungsdienstlich behandelt. Später erfuhr ich, daß Dieter der RAF angehörte. Mir hatte er es nicht erzählt. Plötzlich waren wir beide gesuchte Terroristen und mußten untertauchen. Vor sieben Jahren, zwei Jahre nach dieser Besetzungsaktion, wurde Dieter gefaßt. Man verurteilte ihn wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu fünfzehn Jahren, und seitdem sitzt er in Stammheim. Da ich als seine Freundin galt, stand damit schon fest, wozu sie mich verurteilen würden, wenn sie mich kriegten. Fünfzehn Jahre Haft für einen Protest gegen die Rassendiskriminierung in Südafrika! Das war die eine Möglichkeit, die ich hatte. Die zweite: Zurückzuschlagen, Widerstand zu leisten, mir diese fünfzehn Jahre zumindest zu verdienen.«
Carl versuchte es mit Einwendungen: »Man kann doch keinen Menschen zu einer so hohen Strafe verurteilen, ohne Beweise zu haben. Das ist in einem westlichen Staat nicht möglich.«
Sie schüttelte nachsichtig
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