Der demokratische Terrorist
Sequenz für Sequenz. Hamilton hatte deutlich zu erkennen gegeben, daß er beteiligt war, einmal durch die Wahl des Fluchtwagens und weiter durch seine Position in der Bank. Man konnte sogar sehen, wie der Bankräuber, der Hamilton sein mußte, Blickkontakt mit den Kameraobjektiven gesucht, einen kurzen Moment lang offen hineingeblickt und leicht genickt hatte.
Hamilton stand im Zentrum des Geschehens neben dem Eingang der Bank. Von dort konnte er alles überblicken und zugleich jeden überwältigen, der unerwartet in die Bank kam. Er hatte sie als erster betreten und zwei Schüsse an die Decke abgegeben, um die Anwesenden zu schocken. Erst danach kamen die beiden anderen herein, eine Frau und ein Mann, die man bislang noch nicht hatte identifizieren können. Die Frau hatte sich mitten in den Schalterraum gestellt, um Kunden und Personal in Schach zu halten, während der zweite Mann das Panzerglas des Kassenschalters sprengte und damit begann, sich aus der Kasse zu bedienen.
Zehn Sekunden später stürzte dieser zivile Polizeibeamte mit gezogener Pistole herein und wurde von Hamilton blitzschnell überwältigt, entwaffnet und zu Boden gezwungen. Loge Hecht und Siegfried Maack hatten sich sehr lange bei dieser Sequenz aufgehalten, möglicherweise länger, als sachlich gerechtfertigt war. Erst bei Einzelbildschaltung konnten sie erkennen, was sich abgespielt hatte. Danach war die Situation kurze Zeit unter Kontrolle, und die Bankräuber gingen in aller Ruhe wieder an die Arbeit. Dann kam es zur Katastrophe.
Keine der Videokameras war so placiert, daß man den Schützen erkennen konnte. Tatsache war aber, daß ein ziviler Wachmann der Bank, ein 61jähriger pensionierter Unteroffizier der Bundeswehr, irgendwo aus einer Hintertür auftauchte und mit einer Maschinenpistole das Feuer eröffnete. Er gab Schnellfeuer, so daß Splitter und Querschläger durch den Raum schwirrten. Man konnte sehen, wie mehrere Menschen am hinteren Ende des Kassenraums, wo die Bankräuber die Kunden der Bank zusammengetrieben hatten, getroffen wurden.
Carl Hamilton war auf dem Bild deutlich zu sehen, wie er neben dem zu Boden gezwungenen Zivilpolizisten stand. Beide gingen gemeinsam in Deckung, und es sah aus, als sagten sie etwas zueinander. Dann hob Hamilton seine Waffe und gab einen einzigen Schuß ab.
Er hatte den Wachmann getroffen. Er stand auf und gab den anderen ein Zeichen, sie sollten weitermachen, was sie nach einigem Zögern auch taten. Beim Verlassen der Bank lief die Frau zu dem niedergeschossenen Wachmann hin und riß dessen Maschinenpistole an sich. Hamilton widmete sich unterdessen der Dienstpistole des Polizeibeamten: er zog das Magazin heraus und warf es quer durch den Kassenraum, legte dann die Waffe neben den Beamten und wartete ab, bis die anderen die Bank verlassen hatten. Dann verschwand auch er.
Der Fluchtwagen, zumindest der erste, der bis zum Wagenwechsel vier Häuserblocks weiter verwendet worden war, war ein Mercedes 190.
Neben seinen (gelinde gesagt) gründlichen Filmstudien und ebensooft wiederholten Spekulationen, die er gemeinsam mit Maack durchgekaut hatte, hatte Loge Hecht zwei wesentliche taktischbürokratische Probleme gelöst. Unter Hinweis darauf, daß es sich vermutlich um einen Überfall von Terroristen handle, hatte er den Videofilm für geheim erklären lassen und den zivilen Polizeibeamten zur Vernehmung gebeten. Auch das Protokoll dieser Vernehmung, die beim Verfassungsschutz stattfinden sollte, durfte als geheim gelten.
Der Polizeibeamte, ein Kriminalinspektor Norbert Pohl, der als Fahnder der FD 5 Dienst tat und den man billigerweise wohl als qualifizierten Polizeibeamten betrachten mußte, saß schon in Loge Hechts Vorzimmer und wartete. Hatte dieser Norbert Pohl ein paar Beobachtungen machen können, die für die jetzt ganz entscheidende Frage von Bedeutung waren: Hatte Carl Hamilton die Grenze überschritten? War er plötzlich geistesgestört geworden? Hatte der Verfassungsschutz mit ihm bei den Terroristen eine Drachensaat ausgesät, die zu einem Alptraum führen würde, der alles übertraf, was sie in fast zwanzig Jahren mit Terroranschlägen erlebt hatten?
Norbert Pohl war mehr als mittelgroß, athletisch, blond, ein norddeutscher Typ, der so aussah wie ein Polizeibeamter im Film. Es fiel Loge Hecht anfänglich schwer zu glauben, daß ein Mann mit diesem Aussehen als Zivilfahnder arbeitete. Die beiden Männer begrüßten einander korrekt und höflich.
»Nun, Herr Pohl, da Sie selbst
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