Der demokratische Terrorist
erschießt Leute aus reiner Verzweiflung und ähnliches mehr. Die Vorstellung, mich in einer solchen Situation wiederzufinden, behagt mir ganz und gar nicht. Wenn ich sterben soll, dann nur, wenn der Zufall mich einholt oder weil ich selbst einen Fehler mache, aber nicht, weil mir ein paar halbtrotzkistische Knallköpfe eine Handgranate auf den Fuß fallen lassen oder so auftreten wie ihr vorhin, als ihr mich unten an der Hafenstraße einfangen wolltet.«
Keiner der Anwesenden verriet auch nur durch eine Miene, ob die Beleidigungen gewirkt hatten. Friederike Kunkel überlegte kurz, bevor sie fortfuhr.
»Wie bist du dazu gekommen, Banken zu überfallen?«
»Ich finde es allmählich etwas albern, hier zu sitzen und Fragen zu beantworten wie bei einem Polizeiverhör.«
»Das ist wirklich das erstemal, daß man uns mit den Bullen verwechselt. Aber als Diskussionsgrundlage ist die Frage nicht gerade uninteressant. Oder?«
»Okay, eins zu null für dich. Du willst also wissen, warum meine Banküberfälle etwas ganz anderes sind als eure? Es war so. Nach fünf Jahren in Kalifornien kam ich nach Hause, nach Schweden. Ja, das hatte mit meinem Universitätsstudium zu tun, ich hatte Informatik als Hauptfach, und dafür ist Kalifornien das Beste, was man finden kann, ganz unabhängig davon, was man sonst von den USA halten mag. Man könnte also sagen, daß ich fünf Jahre im Bauch des Ungeheuers gelebt habe. Aber bei meiner Rückkehr nach Schweden existierte die marxistischleninistische Linke im großen und ganzen nicht mehr. Ich weiß nicht, ob die Entwicklung bei euch in Deutschland ähnlich gewesen ist, aber in Schweden ist alles degeneriert - heute führen lauwarme Umweltschützer und Friedensapostel das große Wort. Den gesamten antiimperialistischen Kampf gab es nicht mehr. Nur ein paar Gruppen in der alten, revisionistischen und mehr oder weniger moskauhörigen KP gaben sich noch damit ab, allerdings nur, wenn es um Mittelamerika ging. Über die Sowjetunion war natürlich nie ein Wort zu hören, auch nicht über Afghanistan. Es gab keinen Kampf mehr. Am Ende hatte die Sozialdemokratie alles in sich aufgesogen. Die schwedischen Solzialdemokraten sind verdammt geschickt in der Kunst, den Kampf an sich zu reißen und ihren reformistischen, parteikonformen und staatstragenden Bestrebungen einzuverleiben. Ich vermute, daß es hier genauso aussieht. Aus diesem Grund wollte ich in der Nähe der Hafenstraße wohnen, um vor den Bullen völlig sicher zu sein.
Die Hausbesetzer sind ja zum Preis von 100 Mark pro Haus und mit der Garantie, daß die Bullen sich nicht blicken lassen werden, von den Sozis gekauft worden. Eine praktische Lösung, nicht war?«
»Schon möglich, aber verzeih mir, wenn ich dich jetzt unterbreche.
Kannst du nicht endlich auf die Banküberfälle kommen, denn all das ist zwar interessant, aber gelinde gesagt ziemlich allgemein«, sagte Friederike Kunkel mit beherrschtem Blick, aber gleichwohl spürbarer Ungeduld. Carl hielt aber noch eine weitere Abschweifung für nötig.
»Ich habe früher auch dem Palästina-Komitee angehört, aber das war ebenfalls in den vergangenen fünf Jahren ausgelöscht worden, und wißt ihr warum? Wir hatten nämlich immer auf rein reformistische Arbeit gesetzt, klassische Meinungsbildung ohne eine Spur von Militanz. Wir wollten beweisen, daß Israel aggressiv und expansionslüstern ist, der Zionismus rassistisch, und daß Israel das nächste Südafrika sein werde, und so weiter.
Und wer hat dieser Arbeit die Grundlage entzogen? Menachem Begin. Mit ihm war all das bewiesen, und wir konnten keine Propaganda mehr betreiben. Die Frage hatte sich auf die religiöse Ebene verlagert haben die Juden ein Recht, Araber zu quälen, nachdem sie selbst so gelitten haben? Na ja, ihr kennt das. Verzeihung, aber ich möchte, daß ihr alles versteht, und darum bin ich hier etwas ausführlicher. Also. Nachdem ich ein paar Wochen zu Hause war, lange genug, um festzustellen, daß sich die Situation wie geschildert verändert hatte, traf ich eines Tages einen meiner alten Genossen vom Palästina-Komitee, Abdel Salaam Mahmoud, selbst ein Palästinenser. Er arbeitete bei McDonald’s und klatschte Hamburger zusammen. Wir unterhielten uns ein wenig über die düstere Lage. Er erzählte, daß er gezwungen sei, in einem amerikanischen Unternehmen zu arbeiten, das jedes Jahr mehrere hunderttausend Kronen für Israel und verschiedene zionistische Sammlungen spendete, und das allein in Schweden. Aber,
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