Der Derwisch und der Tod
als
Stiftungsverwalter, einen redlichen, klugen und geschickten Menschen, wenn es
so einen überhaupt gebe, meinte er lachend. Ich fragte mich, ob er sich mehr
darüber freute, daß er sich mit dem Vater versöhnt hatte, oder darüber, daß
seinem Schwager, Ajni Effendi, ein so grosser Besitz entwischte. „Wenn's ihm
das Herz nicht zerreißt", meinte er fröhlich, „dann ist es aus Stein."
Er kaufte Mula Jusufs Abschrift des
Koran, um sie dem Vater zu schenken. Jusuf wollte kein Geld annehmen, doch
Hasans Beweisgrund war überzeugend:
„Zwei Jahre Arbeit verschenkt man
nicht einfach."
„Was soll ich mit dem Geld?
„Gib es einem, der's braucht."
Er war voll Bewunderung für die
Abschrift: „Er ist ein Künstler, Scheich Ahmed, und du schweigst und versteckst
ihn, hast wohl Angst, man könnte ihn dir wegnehmen. Er erinnert mich an den
berühmten Muberid. Dies da ist vielleicht sogar schöner. Leidenschaftlicher,
aufrichtiger. Hast du von Muberid gehört, Mula Jusuf?"
„Nein."
„Er hat mit der Gabe, die auch die
deine ist, Reichtum und Ansehen erworben. Von dir aber weiß in unserer Stadt
keiner. Nicht einmal die Besucher der Tekieh. Wenn von uns einer begabt ist,
geht er nach Stambul oder nach Ägypten, und andere bringen uns Kunde von ihm.
Wir verstehen es nicht, es berührt uns nicht, oder wir haben nicht genug Selbstvertrauen."
„Hier berühmt zu sein, bedeutet
nicht viel, was immer der Grund da für sein mag", meinte ich, den Vorwurf
nicht annehmend. „Ich wollte ihn nach Stambul schicken, er ging nicht darauf
ein."
Der junge Mann zeigte sich verwirrt,
wie das erstemal. Freilich mit weniger Angst als damals.
„Ich tue das um meinetwillen",
sagte er leise. „Und ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht, ob es etwas
wert sei."
Hasan lächelte: „Wenn du aufrichtig
sprichst, sollte ich vor dir aufstehen."
Er sah dem jungen Manne nach, als
der, verwirrt von dem Lob, wegging.
„Es gibt noch Schamhafte und Feinfühlige,
mein Freund. Scheint dir das nicht auch wunderbar?"
„Immer wird
es sie geben."
„Dank sei Gott. Zu viele von uns
wissen nicht einmal mehr, was das ist. Solche wie ihn sollte man gut bewahren,
als Keim für die Zukunft. Dich scheinen seine Dinge wenig zu kümmern",
fügte er unverhofft hinzu.
„Er ist
schweigsam, verschlossen."
„Schamhaft,
schweigsam, verschlossen. Möge Allah ihm beistehen."
„Warum?"
„Ihr Derwische habt einen seltsamen
Beruf, ihr verkauft Worte, die Leute kaufen sie – aus Angst oder aus
Gewohnheit. Er aber will keine Worte verkaufen, oder er versteht es nicht. Er
versteht es auch nicht, Schweigen zu verkaufen. Auch nicht seine Begabung. Und
es liegt ihm nichts am Erfolg. Woran liegt ihm dann?"
Es war schwer, ihn zurückzuhalten,
wenn jemand seine Aufmerksamkeit geweckt hatte. Oft ohne Grund oder aus einem
Grund, der nur ihm wichtig war.
Warum
erkundigst du dich so genau nach ihm?"
„Ich
erkundige mich nicht. Wir unterhalten uns."
„Du hast die seltsame Fähigkeit,
einen unglücklichen Menschen zu erspüren."
„Ist er
denn unglücklich?"
Ich erzählte ihm alles, was ich
wußte – oder beinahe alles –: von der Ebene, von dem Knaben, von seiner Mutter,
und während ich erzählte, wurde mir immer klarer, daß der junge Mann ein Opfer
war. Wie auch ich.
Und ich wußte nicht, wer größere
Pein litt, ihn hatte es am Beginn des Lebens getroffen, mich zum Ende hin. Ich
sprach es nicht aus, aber ich spürte es selbst, allzusehr beklagte ich dieses
Unglück – ich verdoppelte es, indem ich auch von mir sprach.
Hasan hörte zu, zur Seite blickend,
mich nicht unterbrechend, erregt und doch nüchtern genug, das Wesentliche zu
treffen:
„Es
scheint, du hast ihn erst jetzt begriffen. Man müßte ihm helfen."
„Er wünscht keines Menschen Hilfe,
er läßt nicht zu, daß jemand ihm näherkommt, er traut keinem."
„Der Liebe würde er trauen. Er war
ein Kind."
„Ich liebte ihn. Ich brachte ihn
auch hierher."
„Ich gebe dir keine Schuld. Wir sind
alle so. Wir verstecken die Liebe, und damit ersticken wir sie. Schade – für
dich ebenso wie für ihn."
Ich wußte, was er dachte: Er hätte
mir jetzt den Bruder ersetzen können. Aber keiner kann mir den Bruder
ersetzen.
Ich hätte Jusuf nicht geholfen? Und
wer hat mir geholfen!
Ich sprach von mir, und er hörte nur
den Namen des Jünglings.
Indem ich von ihm erzählte, schob
ich mich selbst zur Seite. Vielleicht darum, weil Jusuf eben jung ist? Oder
weil ich stolz bin und stark? Den
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