Der Derwisch und der Tod
sind. Er
streut schöne Worte um sich und vergißt sie sofort.
Als ich aber das Ende des langen
Korridors erreicht hatte, trat Hasan aus dem Zimmer.
Zum ersten Male sah ich ihn
unbeherrscht, unordentlich, nachlässig gegenüber sich selbst. Als wäre er ein
anderer. Seine Augen waren nicht heiter, nicht klar, sondern trüb und
eingefallen, ermüdet vom Trinken und vom langen Wachen. Häßlich
blinzelte er im Licht.
Wir sahen uns ohne Lächeln an.
„Entschuldige", murmelte er.
„Du bist im unrechten Augenblick gekommen."
„Das sehe ich."
„Gar nicht übel, daß du mich ganz
kennenlernst."
„Seit Tagen zeigst du dich nicht
mehr. Ich wollte nachsehen, was mit dir ist."
„Ich hatte zu tun. Nicht nur das
da."
„Auch Jusufs wegen bin ich gekommen.
Ist etwas vorgefallen? Er wollte zu dir, du hast ihn nicht ins Haus
gelassen."
„Ich bin nicht immer zum Gespräch
aufgelegt."
„Er hat sich an dich gewöhnt. Hat
dich liebgewonnen."
„Liebgewonnen, das ist zuviel.
Gewöhnt, das ist nichts. Schuld bin ich weder an dem einen noch an dem
andern."
„Du hast ihm die Hand gereicht, ihn
aus der Einsamkeit gerissen, und dann hast du ihn alleingelassen.
Warum?"
„Ich kann mich mit keinem für das
ganze Leben verbinden. Das ist gerade mein Unglück. Ich versuche
es, und es gelingt mir nicht. Was ist Sonderbares dabei?"
„Ich hätte gern den Grund
gewußt."
„Der Grund liegt in mir."
„Na, schon gut. Entschuldige."
„Du sagtest, du hättest ihn geliebt.
Bist du dessen sicher?"
„Ich weiß nicht."
„Dann hast du ihn nicht geliebt.
Warum hast du ihn hergeholt, wenn du ihn nicht aufnehmen
wolltest?"
„Ich habe ihn aufgenommen."
„Du hast nur eine Pflicht erfüllt
und von ihm Dankbarkeit erwartet. Er aber hat sich immer mehr
losgelöst und sich in Haß verbohrt."
„In Haß? Gegen wen?"
„Gegen jedermann. Vielleicht auch
gegen dich."
„Warum sollte er mich hassen?"
fragte ich, entsetzt von dieser Möglichkeit, obgleich ich auch früher an
sie gedacht hatte.
„Du hättest einen Freund aus ihm
machen oder ihn wegschicken sollen. So aber habt ihr euch ineinander
verschlungen wie zwei Schlangen, von denen jede der anderen den Schwanz
verschluckt hat und die sich nicht mehr trennen können."
„Ich hatte gehofft, du würdest das
tun, was ich versäumt habe."
„Und mir wär's lieber, ein anderer
täte es. Und alle anderen denken geradeso. Darum tun wir auch nichts. Genügt es
jetzt? Drin warten sie auf mich."
Schnaps- und Tabakgeruch gingen von
ihm aus, er war gereizt und schroff, zum Streiten aufgelegt, bissig.
„Hat dir Jusuf das alles
gesagt?"
Er drehte sich um und ging, ohne ein
weiteres Wort.
Gut war es, daß ich ihn auch so
gesehen hatte.
Hasan ist ein Schwankender. Hasan
weiß nicht, was er will, oder er weiß es, aber kann es nicht, Hasan hat gute
Absichten, aber er hält nicht durch, Hasan versucht vieles und schafft es
nicht, und vielleicht liegt sein Unglück wahrhaftig in diesem ständigen
hoffnungslosen Beginnen, darin, daß er ständig Brücken baut, über die er dann
nicht geht. Es ist der Fluch des Wunsches, der nicht erlischt, sich aber auch
nicht verwirklicht. Immer von neuem sucht er, begeistert, und zieht sich dann
schnell zurück, leer und ohne Furcht. Man könnte meinen, der Gedanke ziehe ihn
an, doch der Mensch stoße ihn ab. Das ist ein seltsames Sich-Verbrauchen und
eine Qual, nicht weil er dann aufgibt, sondern weil er immer neue Versuche
unternimmt. Dann liegt wohl alles an ihm, nicht an dem andern.
Und dennoch suchte ich die Ursache
außerhalb seiner.
Er hatte unrecht gehandelt, indem er
Jusuf wegschickte. Und wiederum fragte ich mich ganz unlogisch:
Warum? Dabei merkte ich gar nicht,
daß ich so die Schuld auf den anderen warf.
Ich suchte den Grund dafür, daß
Hasans Begeisterung so schnell erloschen war. Was hatte Jusuf getan? Ich hatte
gewollt, daß mir Hasan das sage, aber er hatte nur sich selbst beschuldigt. Ich
setzte diese Selbstbeschuldigung auf seine Rechnung, und doch fragte ich
weiter: Was hat Jusuf getan?
Ich fragte mich selbst, ich hatte
Hasan gefragt um meiner selbst willen. Mich quälte das Geheimnis wie
Finsternis, ich konnte nicht anders, ich verband es, gleich allem, mit meinem
Unglück, das mich umklammert hielt, das mir Nahrung und Luft, Mark und Kern des
Lebens geworden war. Ich mußte es ergründen, davon hing alles ab, und ich
quälte mich wie im Fieber, durchforschte von neuem jeden Menschen, jedes
Ereignis, jedes Wort, das mich und
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