Der Derwisch und der Tod
Kräftigen bedauert keiner.
„Und jetzt? Wie ist es jetzt?
Schweigt ihr von allem?"
„Unglückliche Menschen sind allzu
feinfühlig. Wir könnten einander Verdruß bereiten."
Es lohnte nicht, von dem zu
sprechen, was schwer zu erklären ist: daß ich die Erinnerung an die Ebene
liebe, aber seine kalte Zurückhaltung und das finstere Schweigen, das alle
Hoffnung tötet, hasse. Ich hatte diese verwickelte Beziehung vereinfacht, indem
ich nur die halbe Wahrheit aussprach, nämlich, daß wir einander allmählich
fremder würden, daß aber das Band zwischen uns dennoch stark sei, denn der
Mensch trenne sich nicht leicht von dem, dem er geholfen hat, er behalte gern
eine schöne Erinnerung von sich selbst. Ich und Jusuf, wir seien wie nächste
Verwandte, meinte ich, und auch unsere Mißverständnisse seien verwandtschaftlicher
Art – immer seien sie der Liebe nahe.
„Es gibt auch verwandtschaftlichen
Haß", wandte Hasan lachend ein.
Er überraschte mich nicht. Immerhin war er
lange ernst gewesen.
Ich erwiderte scherzend: „Soweit
sind wir nicht gekommen."
Von da an besuchten sie einander öfter. Hasan
kam in die Tekieh, oder er lud ihn zu sich nach Hause ein. Gemeinsam besorgten
sie eifrig Hasans Angelegenheiten, schrieben Vereinbarungen und stellten
irgendwelche Rechnungen auf, gegen Abend gingen sie am Fluß spazieren. Mula
Jusuf veränderte sich auffallend, ich wußte, Hasans Unmittelbarkeit umschwebte
ihn, er ging wie beschwingt. Noch zeigte er den ergeben abwesenden Gesichtsausdruck,
mit dem er sich von den Menschen schied, doch er war nicht mehr hoffnungslos
und bedrückt. Der Knabe aus ferner Zeit schien wieder zum Leben zu erwachen,
freilich langsam, er blieb noch im Schatten.
Mula Jusuf wurde unruhig, wenn Hasan
nicht kam, er sah ihn mit leuchtenden Augen an, wenn er erschien, freute sich
über Hasans Heiterkeit und freundliches Wort, ging nicht, wie früher, hinaus,
wenn Hasan und ich ein Gespräch begannen, er blieb bei uns, vergaß beinahe die
schuldige Rücksicht, mit jenem Rechte, das ihm die neue Freundschaft gab.
Auch Hasan
war zufrieden angesichts der schweigsamen Zuneigung und der Freude,
mit der ihn der Jüngling empfing.
Und dann
änderte sich alles. Allzu schnell, allzu unverhofft. Hasan kam nicht
mehr in die Tekieh, er lud Jusuf nicht mehr ein, sie sahen einander nicht mehr.
Ich fragte
ihn verwundert:
„Was ist
mit Hasan?"
„Ich weiß
nicht", antwortete er verwirrt.
„Seit wann
kommt er nicht mehr?"
„Schon fünf
Tage."
Er sah
niedergeschlagen aus. Sein Blick war wieder unsicher geworden, ein
schwerer Schatten hatte sich auf sein Gesicht gelegt, das gerade begonnen hatte
sich aufzuhellen.
„Warum bist
du nicht zu ihm gegangen?"
Er senkte
den Kopf und antwortete mühsam:
„Ich bin
hingegangen, man hat mich nicht hineingelassen."
Auch mir
gelang es kaum, Hasan zu sehen.
Die kleine
Frau, die jeden zerstreut ansah, ihrer Erinnerung oder ihrer Erwartung
still zulächelnd, eine Blume im Haar, geputzt und mit Wohlgerüchen versehen
(der Ehemann meinte gewiß, es gelte ihm, und war glücklich),
ließ mich ängstlich ein, bat mich aber, ich solle sagen, ich hätte die Tür
offen gefunden, sie könnte leichter dafür Verzeihung finden, daß sie
vergessen habe, zu verriegeln, als daß sie mich hereingelassen habe.
Drei Tage
und drei Nächte schon hocke man im Haus, sagte sie, freilich ohne
Vorwurf. Alles sah sie heiter.
Ich fand
ihn zusammen mit Freunden in der geräumigen Divanhana.
Sie würfelten.
Im Raume
herrschte Unordnung, er war voll Tabaksqualm, der im Halbdunkel
– die dicken Vorhänge waren herabgelassen – wie ein Nebel über ihnen
hing, die Kerzen brannten noch, obgleich es Morgen war, ihre Gesichter
waren bleich, erschöpft. Neben ihnen standen Kupferschalen und Gläser.
Und lagen Häufchen Geld.
Hasans
Miene war schroff, zerfahren, beinahe böse.
Er sah mich
verwundert, keineswegs freundlich an. Ich bereute, daß ich gekommen
war.
„Ich wollte
mit dir sprechen."
„Jetzt bin
ich beschäftigt."
Er hielt
einen Würfel aus Elfenbein in der Hand und warf ihn, vom Spiel
gepackt, auf den Teppich.
„Setz dich,
wenn du willst."
„Ich habe
keine Zeit."
„Worüber
wolltest du sprechen?"
„Nicht so
wichtig. Ein andermal."
Ich ging
hinaus, gekränkt. Und verwundert. Wer ist dieser Mensch.Ein hohler Schwätzer? Aprilsonne?
Ein Schwächling, beherrscht von Lastern?
Ich war verdrossen, mich bedrückte
der Gedanke, daß es keine Menschen gibt, die immer gut
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