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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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Was sollte ihm da geschehen?"
    „Gerade so habe ich von meinem
Bruder gedacht. Und du weißt, was ihm geschehen ist."
    „Das ist
doch etwas ganz anderes!"
    „Was ist daran anders, Alijaga?
Hadschi Sinanudin ist nicht klein und unbedeutend wie mein Bruder, es gibt
Menschen, die sich für ihn einsetzen. Wolltest du das sagen? Vielleicht ist es
so, aber das wissen auch der Kadi und der Muselim. Warum haben sie ihn dann
eingesperrt? Um ihn freizulassen, wenn ihr anfangt zu drohen? Seid doch um
Himmels willen nicht so naiv!"
    „Was willst
du? Dich rächen?"
    „Ich will
dem Bösen entgegentreten."
    „Gut", erwiderte er heiser,
„dann also beides. Wer wird den Brief schreiben?"
    „Ich habe
ihn schon geschrieben. Setz auch du dein Siegel darauf, wenn du willst. Und man
muß jemanden finden, der ihn so schnell wie möglich fortbringt. Auch bezahlen
muß man. Ich habe nichts."
    „Ich
bezahle. Gib mir den Brief."
    „Ich bringe
ihn selber fort."
    „Du traust
keinem? Vielleicht hast du recht."
    Die Poststation ist ein seltsamer
Ort, sie war meinem Gedächtnis eingeprägt durch den starken Geruch von Pferden
und Pferdemist, durch die merkwürdigen Menschen, die irgendwoher auftauchen und
irgendwohin weiterziehen, durch den zerstreuten Blick, den die Reisenden in
ihren hilflosen Augen haben, da sie ihre Gedanken als Boten vorausschicken oder als
Bürde nach sich ziehen, bedrückt wie Verbannte.
    Jetzt
blickten seltsamerweise alle auf mich, neugierig und argwöhnisch.
    „Ist der
Brief wichtig?" fragte mich der Postmeister.
    „Ich weiß
nicht."
    „Wieviel
Geld hat Alijaga gegeben?"
    Ich zeigte
es.
    „Scheint
wichtig zu sein. Willst du, daß ich's mit dem Kurier abmache?"
    „Ich muß
ihm sagen, wem er den Brief zu geben hat."
    „Wie du
willst."
    Er holte
den Kurier herein und ging selber hinaus.
    Der Kurier
hatte es eilig.
    „Einen
Brief ohne Namen? Du bezahlst zuwenig."
    Dreist sah
er mich mit seinen kleinen Augen an, sein Gesicht war grob von den
Winden, von der Sonne, vom Regen, etwas Erbarmungsloses lag in den
Zügen dieses Mannes, der auf endlosen Straßen dahinjagt, um Kunde von
fremdem Glück und fremdem Unglück zu bringen, und den weder
Tränen noch Freude kümmern.
    „Ich bin's
nicht, der bezahlt. Ich besorge es nur für einen andern."
    „Ist mir
gleich. Zahl mir jetzt alles. Das Bakschisch, wenn ich zurückkomme."
    „Die Hälfte
jetzt, die Hälfte, wenn du zurückkommst. Und das Bakschisch
wird dir der geben, dem du den Brief bringst."
    „Das ist
nie sicher. Ist's eine gute Nachricht, vergessen sie's zu geben – vor Glück.
Ist's eine schlechte, so ärgern sie sich und vergessen's darum."
    „Der den
Brief bekommt, hat ein hohes Amt."
    „Das ist
noch schlimmer. Die meinen, wir hätten schon an der Ehre genug ihnen
zu dienen. Zahl alles gleich jetzt."
    "Ich
glaube, du willst mich erpressen, Freund."
    Er hielt
den Brief auf der flachen Hand, als wolle er schätzen, wie schwer er
sei.
    „Nenn's
meinetwegen erpressen. Was meinst du, wieviel ich bekäme, wenn ich
ihn zu einem andern brächte."
    „Zu
wem?"
    „Na, sagen
wir, zum Muselim."
    Ich
erstarrte und spürte, wie mir kalter Schweiß ausbrach. Nie kann der Mensch
alles vorhersehen, wir sind Glücksspieler – mehr, als wir glauben.
Umsonst hatte ich alles berechnet und vorbereitet; die Begehrlichkeit
eines Kuriers konnte mich auf dem ersten Schritt ins Verderben stürzen. Er
hatte sofort meine Unerfahrenheit gewittert, und mir fehlte alles,
womit ich ihm hätte Angst machen können.
    In der
Furcht, die mich umklammerte, war mein erster Gedanke, um jeden Preis
den Brief wieder an mich zu bringen; meine Hände zuckten schon danach, ihn an der Gurgel zu
packen. Zum Glück fand ich einigermaßen die Fassung wieder, ich lächelte sogar
und sagte ruhig:
    „Tu, was du willst. Ich weiß nicht,
was in dem Brief steht, darum weiß ich auch nicht, ob sich's für dich lohnen
würde."
    „Ich überlege mir's."
    „Hör zu, Freund. Vielleicht treibst
du jetzt nur deinen Spaß, aber ich glaub dir jetzt nicht mehr. Gib mir den
Brief."
    „Du meinst, ich treib Späße? Ich
treib keine Späße. Ich wollte nur sehn, ob es gefährlich ist, damit ich weiß,
was ich im Beutel trage. Jetzt weiß ich's, es ist gefährlich. Hast mir's selber
gesagt."
    „Was hab ich gesagt?"
    „Alles. Eiskalt überlief's dich, als
ich den Muselim nannte. Du weißt genau, was in dem Brief steht. Hier hast du
ihn. Der nächste Kurier reitet in fünf Tagen. Ihm wirst du noch

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