Der Derwisch und der Tod
unwillkürlich stehen, als wolle er einem Schlag ausweichen oder als
lähme ihn die Angst, und sein Gesicht verwandelte sich in eine Maske der furchtsamen
Verwirrung. Da wußte ich es: er hatte Angst vor mir. Was mich überzeugte, war
sein offenstehender Mund – die erstarrten Muskeln konnten die Lippen nicht
bewegen und formen –, und es war der verkrampfte Körper, der sich, selbst
betroffen und verängstigt, sofort verriet. Alles dauerte nur einen Augenblick,
einen kurzen Augenblick, dann ließen die gepreßten Adern das gestaute Blut
wieder fließen, der Mund erhielt seine gewohnte Form, der kleine blaue Kreis in
der Augenmitte bewegte sich wieder.
„Du hast Angst vor mir?"
„Nein. Warum sollte ich Angst
haben?"
Da übermannte mich die Wut, nichts
half mir, ich konnte sie nicht zurückhalten.
„Du hast Menschen in den Tod
geschickt, und jetzt verkrampfen sich dir die Gedärme, weil du gesehen hast,
daß ich auch gefährlich sein kann. Deine Furcht da, die dulde ich nicht, sie
ist der Weg zum Verrat. Hüte dich. Du hast dich selbst bereitgefunden, jetzt
kannst du nicht zurück. Bis ich dich fortschicke."
Unerwartet brach das aus mir hervor,
so als müßte ich mich nach den langen Augenblicken der Spannung durch Schreien
von einer Last befreien. Was sich in mir angestaut hatte, was Vernunft und
Vorsicht gehindert hatten, früher in Bewegung zu geraten, das ergoß sich jetzt
mit aller Macht wie ein trüber Schwall. Vielleicht war es auch jetzt unklug und
unvorsichtig, so zu handeln, aber während ich den Jüngling mit Worten
peitschte, die längst in mir geboren waren, spürte ich, wie das unaufhaltsam
aus meinen Adern strömte und mich mit einer Wonne erfüllte, die ich kaum hätte
ahnen können. Als die erste Kraft des Hinausschreiens nachließ und als ich an
dem Gesicht des jungen Mannes sah, welchen vernichtenden Eindruck dieser offene
Ausbruch von Haß und Verachtung in ihm hinterließ, da kam mir zu Bewußtsein,
daß seine Furcht auch nützlich sein konnte:
sie würde ihn stärker als Liebe an mich binden.
Mich befriedigte auch seine
Fassungslosigkeit darüber, daß er einen ganz anderen Menschen als den früheren
Scheich Nurudin vor sich sah. Der Jüngling hatte dazu beigetragen, daß in mir
jener stille und sanfte Mensch getötet wurde, der an eine Welt geglaubt hatte,
wie es sie gar nicht gab. Der jetzige Mensch war in Qualen geboren worden, und
nur die Gestalt war dieselbe geblieben.
Er glaubt,
ich wolle mich rächen. Meinetwegen. Keiner als ich wußte, daß dieser neue
Scheich Nurudin jenem jungen Derwisch ganz ähnlich war, der, den blanken Säbel
zwischen den Zähnen, Flüsse durchschwommen hatte, um sich auf die Feinde des
Glaubens zu stürzen, jenem tollkühnen Derwisch, der sich von dem heutigen darin
unterschied, daß er ohne List, ohne Verschlagenheit und ohne rechte Einsicht
gewesen war, weil die uns erst ein schweres Leben schenken kann.
Ewiger
Frieden sei dir beschieden, du ferner unerfahrener Jüngling, in dem ein reines
Feuer gebrannt, die Sehnsucht nach dem Opfer gelebt hatte.
Ewiger Frieden auch dir, ehrenhafter
und edelmütiger Scheich Nurudin, der du an die Kraft der Sanftmut und des
göttlichen Wortes geglaubt hast.
Ich entzünde euch eine Kerze im
Gedächtnis und im Herzen, euch, die ihr gut und naiv wart.
Jetzt setzt der, der euren Namen
trägt, euer Werk fort, und von nichts, was euch eigen war, sagt er sich los,
außer von der Naivität.
Bisher war die Zeit ein Meer
gewesen, das gemessen zwischen den großen Ufern des Dauerns wogt. Jetzt glich
sie dem raschen Strömen eines Flusses, der unwiederbringlich die Augenblicke
davonträgt. Keinen einzigen durfte ich verlieren, an jeden war eine
Möglichkeit geknüpft. Ich wäre erschrocken, hätte ich früher so gedacht.
Wahnsinnig gemacht hätte mich das mächtige Tosen und unaufhaltsame Wirbeln,
jetzt aber war ich gezwungen, Schritt zu halten, stets bereit zu sein, denn ich
hatte es eilig. Dennoch war ich nicht vorschnell, jeden aus dem Dunkel der
Zukunft hervortretenden Augenblick maß ich genau mit der Tat, durch die ich ihn
befruchten würde, damit das geschehe, was ich erwartete, wenn alles sich zu der
Kette von Ursachen und Wirkungen verbände.
Ich wußte schon, was mir Alijaga
sagen würde, wenn ich ihm die Nachricht brächte, und doch führte mich mein erster
Weg zu ihm. Er hatte schon alles gehört, die Kunde war vor mir zu ihm
gedrungen. Und ich vernahm das, wovon ich gemeint hatte, ich würde es erst
später
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