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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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Aufregung, und
aufgeregt war ich in der Tat – wegen dieser Menschen, seinetwegen, da ich ihn
von Sejmenen umgeben sah, wegen der Wichtigkeit dessen, was ich tat, wegen
jener, die ich haßte, wegen all dessen, worauf ich eine ganze lange Ewigkeit
gewartet hatte.
    In der Stille, mit der ich gerechnet
hatte und die mich jetzt dennoch wie heißes Wasser umspülte, rissen vier der
Sejmenen die Gewehre von der Schulter und richteten sie auf die Menge. Der
fünfte, ein Unbekannter, ohne Waffen, fragte mich wütend: „Was willst du?"
    Wir standen
einander gegenüber wie zwei Ringkämpfer.
    „Wohin
führt ihr ihn?"
    „Was geht's
dich an!"
    „Ich bin der Scheich Ahmed Nurudin,
Knecht Gottes und Freund dieses guten Menschen, den ihr abführt. Wohin führt
ihr ihn? Ich frage im Namen dieser Menschen, die ihn kennen,
ich frage im Namen der Freundschaft, die mich an ihn bindet, ich frage in
seinem Namen, denn er kann sich jetzt nicht wehren. Wenn Schlimmes über ihn
geredet wurde, so war es Lüge. Wir alle bürgen für ihn,
und alle bezeugen wir, daß er der ehrenhafteste Mann in dieser Stadt ist. Wenn
ihr ihn einsperrt, wer soll dann in Freiheit bleiben!"
    „Du bist alt genug", sagte der
Mann finster, „und könntest auf meinen Rat verzichten. Aber es wäre besser, du
mischtest dich nicht ein."
    „Geh nach Hause, Scheich
Ahmed", sagte Hadschi Sinanudin mit überraschend heiterem Gesicht. „Ich
danke dir für deine Freundesworte. Auch ihr, gute Leute, geht auseinander. Das
da ist ein Irrtum, und er wird sich aufklären, gewiß."
    Alle dachten so: ein Irrtum. Aber es
gibt keinen Irrtum, es gibt nur das, was wir nicht wissen.
    Die Menschentraube rückte
auseinander, und die Sejmenen führten Hadschi Sinanudin weiter. Ich stand
still und sah ihnen nach, auch mich hatten sie so fortgeführt, und Harun, nur
daß keiner vor uns hingetreten war, um ein freundliches Wort für uns zu
sprechen. Ich hatte es ausgesprochen und wußte, daß ich mich über sie erhoben
hatte. Ich hätte mich schuldig fühlen können, weil da ein guter Mensch eingesperrt
wurde, doch das bewegte mich nicht, denn hätte es einen anderen getroffen, so
hätte all dies keinen Sinn gehabt und keinem Zweck gedient. Sollte er auch ein
Opfer werden, so würde das doch einem höheren und wichtigeren Ziele dienen, als
es Leben oder Tod eines einzelnen Menschen ist. Alles, was in meinen Kräften
steht, würde ich für ihn tun, Gott aber mochte nach seinem Willen entscheiden.
Zum Glück war nicht das geschehen, was das Sinnloseste gewesen wäre: daß man
ihn sofort freigelassen hätte.
    Die Menschen folgten Hadschi
Sinanudin und den Sejmenen, und als eben die letzten hinter der Ecke
verschwanden, sah ich Mula Jusuf vor einem leeren Laden stehen. Ich rief ihn
nicht herbei, er kam von selbst, wie gebannt, mit Angst in den flackernden Augen.
Was fürchtete er? Es kam mir vor, als richteten sich sein Blick und seine
Gedanken nicht auf Hadschi Sinanudin, sondern einzig auf mich, voll Entsetzen,
wie gelähmt, als wagten sie nicht einmal, mir auszuweichen.
    „Stehst du
die ganze Zeit schon hier?"
    „Ja"
    „Warum siehst du mich so an? Du bist
verschreckt? Was ist geschehen?"
    „Nichts."
    Er
versuchte zu lächeln, gab sich große Mühe, aber das glich eher einem Zucken,
einem Krampf, und zugleich ließ jener Ausdruck der Angst, den er umsonst zu
verbergen trachtete, sein Gesicht, aus dem die Frische zu weichen begann,
erstarren.
    Ich ging
weiter, er folgte mir wie mein Schatten.
    „Warum bist du verschreckt?"
fragte ich abermals, leise, ohne mich umzuwenden. „Ist etwas Unvorhergesehenes
geschehen?"
    Er beeilte sich, mich einzuholen,
damit ihm kein einziges meiner Worte entginge. Nicht aus Liebe.
    „Alles habe ich getan, wie du es
gesagt hast. Ich habe es versprochen und getan."
    „Und jetzt ist dir's unrecht."
    „Nein, es ist mir nicht unrecht,
überhaupt nicht unrecht. Ich habe gehandelt, wie du mich es geheißen hast, du
hast es selbst gesehen."
    „Und was hast du nun?"
    Ich wandte mich zu ihm um,
vielleicht allzu heftig, verwundert von seiner schwankenden Stimme und seinen
trotzigen Worten, verärgert über mich selbst, weil ich mich davon beunruhigen
ließ und ihn fragte, aber ich wollte herausbekommen, ob etwas geschehen sei,
was er nicht zuzugeben wagte, denn jeder Fehler wäre jetzt gefährlich gewesen.
Doch als ich ihn so unverhofft anblickte, vielleicht auch wegen der
unerwarteten Bewegung oder wegen meiner drohenden Stimme, zuckte er zusammen,
blieb

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