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Der Derwisch und der Tod

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Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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    Ich zahlte, was er verlangte, und
nannte den Namen des Silahdar; erleichtert sagte ich mir, wie dumm er doch mit
seinem und meinem Leben gescherzt hatte.
    Müde verließ ich die Poststation,
ganz erschöpft hatte mich der schreckliche Gedanke, ich müsse ihn eher
umbringen, als daß der gefährliche Brief bei ihm bliebe. Und dann, als ich sah,
er war nur verschlagen, hatte ich ihm den Brief doch gegeben.
    Aber ich hatte das so leichthin
getan, mit einer plötzlichen Bewegung mich von dem inneren Druck befreiend, und
die Zweifel kamen mir wieder, kaum daß ich auf die Straße hinausgetreten war.
Hatte ich mich selbst der Anklage ausgesetzt und ins Verderben gestürzt? Hatte
ich einen Beweis gegen mich in den unsicheren Händen des Kuriers gelassen? Vorher
hatte ich mir leichtfertig gesagt: Alles werde ich allein tun. Wie aber kann
der Mensch alles allein tun?
    Zweimal setzte ich an, den Brief
zurückzuholen, und beide Male ließ ich davon ab, ohne die rechte
Entschlossenheit, das Spiel aufzugeben, das dritte Mal kam ich, da die Angst
mich trieb, bis in den Hof der Poststation, damit ich ein Ende machte, damit
ich das Papier, das laut gegen mich zeugte, in kleine Stücke risse. Doch der
Kurier war nicht da. Er war zur Čaršija gegangen, keiner wußte, warum.
    Jetzt konnte ich nur noch warten.
Ich wanderte ziellos durch die nächsten Gassen, aufgeregt, schreckhaft, mit
mir selbst hadernd, und ich wußte nicht, ob ich mich weiter so sinnlos
herumtreiben oder ob ich mich verstecken sollte; so wenig traute ich mir
selbst, daß ich einem verschüchterten Kinde glich. Ich hätte es nicht tun
sollen, warf ich mir vor, und wußte gar nicht genau, worin mein Fehler lag.
Hätte ich überhaupt nichts anfangen oder nur den Brief nicht abschicken
sollen? Nichts anfangen, das hätte bedeutet, die Hände von allem zu lassen; den
Brief nicht abschicken, das hätte bedeutet nichts zu tun, sich abzufinden, und
das wollte ich nicht. Wo hätte ich also einen Fehler gemacht? Oder war ich so
aufgeregt, weil ich die Zufälle in meinen Berechnungen vergessen hatte, die
Zufälle, die offenbar im Leben entscheidend sind? Oder weil alles unvermeidlich
von vielen Menschen abhängt und man doch keinem trauen kann?
    Und nun spürte ich, wie mich, wohl
vor Erschöpfung, eine matte Ruhe überkam – ich wartete nur noch. Nichts mehr
hing von mir ab, und nichts konnte ich ändern. Geschehen würde, was Gott
bestimmt. Aber es war nicht das Rechte. Ganz gleich, aber es war nicht das
Rechte. An den Kurier dachte ich gar nicht, er war so unwichtig, was hätte er
jetzt davon, mich zu vernichten? Aber der Mensch kann nicht an alle Kuriere im
Leben denken.
    Kurz vor Mittag suchte ich ihn von
neuem, ohne zu wissen, wozu ich ihn brauchte; genug Zeit war vergangen, daß er
alles hatte tun können, was er wollte. Aber ich fand ihn nicht, er hatte schon
seinen weiten Weg angetreten. Hatte er den Brief gezeigt, so würde bald alles
zu Ende sein. Nirgendwohin konnte ich fliehen.
    Ich hatte nicht die Kraft, zu
warten. Die beiden Stunden der Ungewißheit hatten mächtig an mir gezehrt. Ich
schlug den Weg zum Amt des Muselims ein, damit ich den Alp los würde. Und
sobald ich mich entschlossen hatte, fühlte ich mich erleichtert. Es liefe auf
dasselbe hinaus, ob sie mich nun holten oder ob ich mich stellte. Und wiederum
bedeutete es einen großen Unterschied, denn so ging ich selbst der Lösung
entgegen. Ich gewann wieder Mut und Zuversicht, weil ich den Schwerpunkt
verschoben hatte, indem ich die Entscheidung auf mich übertrug. Es scheint
nichts als ein kleinlicher Selbstbetrug zu sein, wenn man das Gesicht einfach
der Gefahr zuwendet, aber alles liegt darin. Du handelst, du wartest nicht. Du
bist Teilnehmer, nicht Opfer. Vielleicht ist dies das Wesen der Tapferkeit?
Mußten erst so viele Jahre vergehen, damit ich dieses wichtige Geheimnis
entdeckte?
    Ich sagte dem Posten, wer ich sei,
und bat darum, daß der Muselim mich empfange. Der Posten möge nicht sagen: ein
Derwisch, sondern er möge sich Namen und Rang merken, es sei wichtig.
    Sollte er mich empfangen, könnte ich
ihm manches sagen. Ich könnte um Gnade für meinen Freund Hadschi Sinanudin
bitten. Könnte ihm erklären, warum ich die Stadtwächter gebeten hätte, ihn
freizulassen. Könnte ihn auf die Erregung hinweisen, die in der Čaršija
herrschte. Ich könnte unzählige Dinge vorbringen, die mich zu nichts
verpflichteten und guten Willen bewiesen.
    Ich war nicht ganz ruhig, aber

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