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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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ich
wußte, dies war noch das beste von allem, was ich tun konnte: Ich verstecke
mich nicht, ich flüchte nicht, ich komme selbst zum Gespräch, mit guten
Absichten und reinem Gewissen.
    Hatte er den Brief bekommen, würde
er mich sofort hereinführen lassen, und alles würde sich schnell aufklären.
Und selbst wenn das geschähe, gäbe es Hoffnung. Ich könnte sagen, der Brief sei
von Alijaga, ich hätte ihn nur niedergeschrieben. Und ich sei gekommen, ihm das
zu sagen.
    Und während ich wartete und alles
bedachte, was er fragen könnte, fiel mir ein, daß ich, außer diesem widerlichen
Warten und einem Gespräch voller Halbwahrheiten, ja
auch Lügen, noch manches würde tun müssen, was nicht schön ist, um einer Sache
willen, die schön ist. Vielleicht würde ich auch zu Handlungen gedrängt, deren
ich mich in einem inhaltlosen Leben schämen würde, doch ich würde zu ihnen um
einer Gerechtigkeit willen gedrängt, die wichtiger ist als alle kleinen
Sünden.
    Noch aber könnte ich innehalten,
wenn es Gottes Wille wäre.
    Mein Gott, flüsterte ich inbrünstig,
während ich zu dem grauen, mit Schneewolken verhangenen Himmel über der Stadt
aufblickte, mein Gott, ist es gut, was ich tue? Wenn es
nicht gut ist, erschüttere meine Entschlossenheit, schwäche meinen Willen,
mach mich unsicher. Gib mir ein Zeichen, rühr die Zweige der Pappeln, mit einem
Windhauch bloß, es hätte nichts von einem Wunder in dieser Herbstzeit. Und ich
gebe es auf, wie stark auch mein Wunsch sein mag, es zu tun.
    Kein Zweig bewegte sich von all den
Pappeln am Flußufer. Sie standen still, mit den schmalen Wipfeln in den
wolkigen Himmel gehakt, stumm und
kalt. Sie erinnerten mich an die Pappeln meiner Heimat, an einem größeren und schöneren Fluß,
unter einem größeren und schöneren Himmel als diesem. Es war keine Gelegenheit,
sich in Erinnerungen zu versenken. Sie zuckten auf wie ein
Blitz, stiegen auf wie ein Seufzer. Und verschwanden. Und es blieb ein trüber
Tag vor mir, es blieben schwere Wolken über mir und etwas wie ein trüber
Bodensatz in mir.
    Würde der Schatten Ishaks
auftauchen? Dies war seine Zeit.
    Der Posten kam zurück. Der Muselim
könne mich nicht empfangen.
    „Hast du ihm gesagt, wer ich bin?
Hast du meinen Namen nicht vergessen?"
    „Ahmed Nurudin, Scheich der Tekieh.
Er hat keine Zeit, sagte er. Komm später wieder."
    Er wußte nichts von dem Brief.
    Mit einemmal lichteten sich alle
Schatten, ich vergaß die Pappeln, den trüben Tag, die Schwermut, die
Erinnerungen. Ich hatte recht behalten: Nicht abwarten muß man, sondern auf
alles zugehen. Ist der Mensch nicht dumm und nicht feig, so ist er auch nicht
hilflos.
    In Alijagas Hof stand die Magd des
Kadis in Ausgehkleidern. Zejna flüsterte mir zu, die Kadisfrau sei bei Alijaga,
zweimal habe sie zu ihr hingehen müssen. Der Aga habe darauf bestanden, daß sie
käme, sie wisse nicht, warum.
    Ich hielt auf den untersten Stufen
der Treppe inne. Durch die offenstehende Tür hörte ich von droben ein
Gespräch. Ich hätte es nicht belauscht, wenn es mich nicht überrascht hätte
und mir notwendig erschienen wäre, es zu erfahren. Der alte Mann verlangte von
der Tochter, der Kadi solle auf jeden Fall zu ihm kommen. Er ließ nicht davon
ab.
    „Es ist wichtig", hörte ich ihn
zischen. „Er hat eine Dummheit gemacht, er oder ein anderer, aber auch er wird
dafür einstehen müssen. Er soll kommen oder den Mann freilassen. Damit auch ich
Ruhe finde."
    „Ich mische mich nicht in seine
Angelegenheiten, sie kümmern mich nicht. Jetzt am wenigsten. Und es wäre
besser, auch du mischtest dich nicht ein."
    „Glaubst du, ich will mich
einmischen? O nein, ich kann es auch nicht. Ich bin alt, hilflos, krank. Wie
kann ich mich um andere kümmern. Aber jetzt muß ich. Man erwartet das von
mir."
    War das Alijagas Stimme, weinerlich,
schwächlich, weich wie Brei vor Mitleid mit sich selbst? Waren das seine Worte?
Großer Gott, werde ich mich in den Menschen nie auskennen lernen!
    „Du mußt nicht, du willst. Du hast
dich daran gewöhnt, daß man auf dein Wort hört. Es schmeichelt dir."
    „Es schmeichelt mir nicht. Ich will
auch nicht mehr, ich habe keine Kraft mehr, für nichts. Nicht einmal soviel
Kraft, ihnen das zu gestehen. Hilf mir, er soll ihn freilassen, meinetwegen.
Damit es nicht heißt, ich hätte einen Freund vergessen, und ich hab ihn doch
vergessen. Das bißchen Atem, das mir noch geblieben ist, das gilt dir. Und
Hasan. Wie aber soll ich ihnen das sagen?"
    „Gut,

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