Der Derwisch und der Tod
getan wird, sondern das,
was bekannt wird und von Mund zu Mund geht. Geblieben sei eine vereitelte
Absicht. Und so gebe es auch keine Kränkung, außer wenn wir sie brauchten. So
könne denn aus allem sogar noch Nutzen erwachsen. Nein, wahrhaftig, er billige
keineswegs solche Handlungen, obgleich er die Menschen längst nicht mehr als
Engel betrachte, wiederum aber wolle er seinen Freund weder schelten, weil das
häßlich wäre, noch rechtfertigen, weil das keiner mehr brauche. Er könne nur
über sich selbst sprechen, und obgleich ihn keine Schuld treffe, sei er bereit,
uns und dem Wesir sein Bedauern darüber auszusprechen, daß er in eine dumme
Sache verwickelt worden sei, die uns mehr Sorgen bereite, als sie verdiene.
Mit Spannung hörte ich ihm zu. Ich
glaube doch, er wußte, warum der Dubrovniker flüchtete, doch er hinterließ den
Eindruck, daß sein Gewissen rein sei, und sicher war es das auch, denn ihn
kümmerte weder der Brief noch das Ansehen des Wesirs. Auf alles hatte er eine
ruhige und überzeugende Antwort. Vielleicht bemerkte nur ich den spöttischen Unterton
in jedem seiner Worte, denn ich verfolgte aufmerksam alles, was er sagte, voll
Freude darüber, daß er so überzeugend jeden Verdacht zurückwies. Wieder einmal
wurde mir bewußt, wie nahe er mir doch stand und wie schwer es mich getroffen
hätte, wenn er in Bedrängnis geraten wäre. Ich hätte ihn nicht so leicht
irgendeines Menschen Rachsucht überlassen, doch es war mir lieb, daß er sich
selbst rechtfertigte. Das zog ich vor – es war besser als das, wozu ich
gezwungen worden wäre.
Um mich selbst trug ich, wenn ich an
den Wesir dachte, keine große Sorge – er brauchte mich.
Am Freitag, nach dem
Mittagsgottesdienst, meldete mir Mula Jusuf, daß mich im Gerichtshaus der
Defterdar des Valijas erwarte. Was für ein Teufel hatte ihn bei so häßlichem
Wetter hierhergeführt!
Unterwegs wollte ich den Muselim
aufsuchen. Er sei eben nach Hause gekommen, sagte man mir, er habe heftiges
Fieber. Ich wußte, was für ein heftiges Fieber das war – damit zog er sich aus
jeder unangenehmen Lage. Doch mir wurde nicht leichter davon, daß ich das wußte.
Der Defterdar begrüßte mich
freundlich, er übermittelte mir den Gruß des Valijas und sagte, er möchte gerne
sogleich die Sache erledigen, derentwegen er gekommen sei, er hoffe, es werde
nicht lange dauern, er sei müde vom Weg und vom langen Reiten und wolle sich
sobald wie möglich baden und ausruhen.
„Ist die Sache denn so
dringend?"
„Man kann wohl sagen, daß sie
dringend ist. Noch heute muß ich dem Valija berichten, was unternommen worden
ist."
Ohne Umschweife brachte er alles in
einem Zuge vor, und gleich zu Anfang betonte er, daß jener Brief den Valija
erzürnt und gekränkt habe. (Das galt mir, es sollte mich auf den Ernst der
ganzen Angelegenheit hinweisen.) Verärgert sei er auch über mich, weil ich den
Dubrovniker hätte entkommen lassen, obgleich ich es hätte verhindern können.
(Diese Worte waren von hier ausgegangen, nun also kehrten sie an ihren
Geburtsort zurück.) Der Valija habe an den Dubrovniker Senat geschrieben und
habe verlangt, daß der Schuldige bestraft werde, und zwar wegen Verleumdung
und wegen der Beleidigung, die er ihm und somit auch dem Lande zugefügt habe,
dem er, der Valija, nach dem gnädigen Willen des Sultans, vorstehe. Sollte der
Schuldige nicht die verdiente Strafe erhalten und sollte man ihm, dem Valija,
darüber keine Nachricht nebst der gebotenen Entschuldigung zukommen lassen, so
würde er sich gezwungen sehen, den gesamten Handel und alle Verbindungen mit
Dubrovnik zu verbieten, denn das würde bedeuten, daß es keine Freundschaft gebe
und daß auf der Gegenseite auch der Wille fehle, die guten Beziehungen, die
beiden Seiten Nutzen brächten, aber der Gegenseite mehr als der unseren, aufrechtzuerhalten.
Es tue ihm ferner Leid, daß die Gastfreundschaft, die man dem Fremden geboten
habe und die wir keinem Wohlgesinnten verwehrten, mit niederträchtigen
Erfindungen über ihn persönlich ebenso wie über die angesehensten Männer des
Vilajets vergolten worden sei, was beweise, wie wenig Wahrheitsliebe und
wieviel Haß im Herzen des erwähnten Kaufmannes, der den Brief geschrieben
habe, liege. Darum möge man, wenn man nach Recht und Sitte verfahre und wenn
unsere Beziehungen gut bleiben sollten, was er von ganzem Herzen wünsche und
was sicher auch der Wunsch des ehrenwerten Senats sei, einen wahren Freund
schicken, einen Freund beider
Weitere Kostenlose Bücher