Der Derwisch und der Tod
aufgestanden, schon auf dem
Markt gewesen, dennoch empfing er mich mißmutig und mürrisch, als wäre er eben
erst aufgewacht. Keine Spur von der Gesprächigkeit des gestrigen Abends und von
dem Wunsch, mich zurückzuhalten, keine Spur von Aufmerksamkeit und
Freundlichkeit. Er wollte mich so schnell wie möglich wieder loswerden. In Zorn
geriet er, als ich ihn fragte, was er mir in der vergangenen Nacht habe sagen
wollen.
"Was ich wußte, hab ich gesagt.
Warum sollt ich was verstecken?"
Sollte ich mich wirklich so
getäuscht haben? So lange hatte ich über jenes Gespräch nachgedacht, weniger
über die Worte als über den Sinn. Etwas hatte er über mich gewußt, ganz sicher.
Ich sagte ihm das jetzt. Er aber schwor Stein und Bein, ich hätte ihn falsch
verstanden. Nacht sei Nacht, und Tag sei Tag. Er habe halt was dahergeredet,
sich weiß Gott was dabei gedacht, und ich hätte halt zugehört, wie er
daherredete, und mir weiß Gott was gedacht, und jetzt hätte ich mir was in den
Kopf gesetzt, was er sich nicht mal im Traum hätte einfallen lassen. Was wisse
er denn schon? Was könne ein Mensch wissen, jammerte er mit weinerlicher
Stimme, der die ganze Nacht auf den Beinen sei, müde wie ein Wasserträgerpferd,
und bloß auf den Augenblick warte, wo er sich in sein armseliges Häuschen
verziehen und unter die schäbige Decke kriechen kann. Viere habe er zu
ernähren, wenn er sich selber nicht mitzählt, in dieser verwünschten Zeit, und
er habe es satt und mehr als satt, wie solle er sich da noch um andrer Leute
Dinge kümmern. Und dann besänftigte er seinen Zorn und meinte, unerwartet ruhig,
sogar freundlich, er würde mir ja gerne helfen, mir lieber als manchem andern,
und irgendein Unglück habe mich bestimmt erwischt, denn sonst wäre ich nicht
zu ihm gekommen und hätte nicht Dinge wissen wollen, von denen er keine Ahnung
habe, ja er habe nicht mal eine Ahnung, was ich suchte. Es sehe aus, als wisse
ich's selber nicht.
Hatte ich heute nacht aus seinen
Worten wirklich etwas herausgehört, was nicht darin lag, oder war mit ihm etwas
geschehen?
Ich ging fort, ohne etwas erfahren
zu haben, und wahrhaftig, er hatte recht, ohne auch nur zu wissen, was es da
hätte zu erfahren geben können.
Als das Nachmittagsgebet gesprochen
war, hielt ich inne, müde und abgespannt, zerquält von den Gedanken an die
Befreiung, die immer schwerer schien, weil die Hindernisse gleichsam in Reihen
aus dem Boden schossen; da gab ich es auf, auch nur daran zu denken, da
entbehrte ich auch diese – wenngleich trügerische – Hoffnung und begann,
mich mit der erneuten Quälerei beim Mufti, die mir morgen bevorstand, abzufinden.
Ich war schwach, gebrochen, erschöpft von den anstrengenden
Unternehmungen, die ich mir den ganzen Tag vorgestellt hatte, mir schien, als
wäre ich nicht so schrecklich ermattet gewesen, wenn ich wirklich
gehandelt oder wenn ich das Handeln wirklich noch vor mir gehabt hätte.
Mustafas Kinder trieben sich im
Tekiehgarten herum, zuerst spielten sie mit Kügelchen auf den Steinplatten vor
der Tekieh, dort verzehrten sie auch ihr Essen, und dann fingen sie an
umherzutollen wie junge Hunde. Sie sprangen über die Rosen, rissen Zweige von
den Apfelbäumen ab, richteten Schaden an den Perlensträuchern an, schrien,
lachten, kreischten, heulten, und ich sagte mir, eines Tages wären wir wohl
gezwungen, die Tekieh und den Garten zu verlassen und umzusiedeln, Gott mochte
wissen wohin. Ich schrie sie ein paarmal an, darauf rief ich Mustafa herbei,
als der gerade aus dem Hause trat, und sagte ihm, die Kinder störten mich, sie
lärmten gar zu sehr.
„Sie warten aufs Abendessen",
erwiderte er, da er nichts gehört hatte.
Ich sprach lauter: „Sie stören mich,
sag ihnen, sie sollen f ortgehn !"
„Zwei sind von mir, drei von ihr,
von früher."
Ich beschrieb es mit Gesten: Jag sie
fort, sonst werd ich verrückt!
Da begriff er, erbost brummend ging
er davon: „Jetzt sind denen sogar die Kinder im Weg!"
Als das Tosen verstummt war, besah
ich den Schaden, ich hatte gehofft, er sei größer, hatte mich in Zorn versetzen
wollen, damit ich frei würde von den Gedanken, die mich seit
Tagen nicht verließen, ich setzte mich unter einen Rebstock, überm Wasser, das
noch flimmerte von der Nachmittagssonne.
Kam es nun von dem starken Wunsch
nach inneren Frieden, kam es von der heilsamen Stille nach dem Kindergekreisch
oder von dem immer gleichbleibenden Strömen des Wassers, das mit kaum hörbarem
Murmeln von sich Kunde gab
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