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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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Schlachtfeldrecken als von einem
Backtrog oder von einem Gartenbeet aus. Der Recke aber war ihm wichtiger als
alles auf der Welt.
    Wenig später, noch am gleichen Tag,
gegen Abend, zur schwersten Stunde, als ich zum Tor des Todes unterwegs war,
traf er mich, schoß aus dem Nebel hervor, fiel vom Himmel vor mich hin, auf
einem Wege, wo es überhaupt keinen Sinn hatte, daß wir uns trafen, nicht wir,
nicht unsere Gesichter, nicht unsere Gemütsverfassungen. Meine war so – ich
kann's nicht beschreiben –, die seine war ein Freudestrahlen. Sein Keuchen kündete
Sieg.
    „Ich bleibe", rief er
begeistert. „Sie werden mich nicht entlassen. Das heißt, ich bleibe. Sie haben
mich gefragt, worüber ich mit dir geredet hätte, und ich hab's erzählt. Dann
haben sie mich zu Malik geführt, und wieder hab ich's erzählt. Das vom Licht
und das vom Schlachtfeld und dann, wie du mir zweihundert Groschen geboten
hast, und alles andere. Was wäre, wenn ich keine Arbeit mehr hätte. Malik lachte,
ein guter Mensch, sagt er, damit meint er dich, und auch ich sag ihm, ja, er
ist ein guter Mensch, das heißt also, du brauchst morgen nichts zu sagen."
    „Gut."
    Er wußte nicht einmal, daß ich ihm
geholfen hatte.
    Mit jedem verlöschenden Tag müßte
man die Vergangenheit totschlagen. Sie auslöschen, damit sie nicht schmerzt.
Leichter wäre dann der gegenwärtige Tag zu ertragen, er würde nicht an dem
gemessen, was nicht mehr besteht. So aber mischen sich Gespenster und Leben,
darum gibt es weder reines Erinnern noch reines Leben. Sie machen sich den
Platz streitig, wollen einander erdrücken, unaufhörlich.

8
    Mein Gott, ich habe niemanden außer dir und meinem
Bruder.
    Ich suchte Hasan, nachher, mehrere Male, vergebens.
Gesucht hatte ihn auch sein Knecht, der ältere, und der hatte erfahren, daß
Hasan mit ein paar Freunden eingesperrt sei. Sie waren gegen Mitternacht aus
dem Haus gegangen und hatten in der Frenk-Vorstadt ein paar junge Burschen verprügelt,
schwerlich war auch nur einer mit heilem Rücken davongekommen, schuld daran
waren die jungen Burschen, sie hatten mit den Rempeleien angefangen, und jetzt
ließen die sich nasse Lappen auf die Striemen legen, Hasan und seine Freunde
aber saßen im Gefängnis. So endet es immer, das ausgelassene Treiben, man
sperrt sie ein, auch wenn sie keine Schuld haben, und man läßt sie frei, wenn
sie bezahlen, man kommt gar nicht auf den Gedanken, zu fragen, ob sie schuldig
seien – gewöhnlich sind sie's. Auch jetzt würde man sie freilassen, nur daß man
viel verlangte, weil die Wunden schlimm waren und die Burschen aus guten
Familien stammten, Hasan aber wollte nicht soviel geben, er schrie, es tue ihm
nur leid, daß er nicht kräftiger zugeschlagen habe, er würde das besorgen, wenn
er herauskäme, denn üblere Hurenkinder und übleres Gesindel gebe es überhaupt
nicht. Der Knecht berichtete mir, er würde freilich das Geld hintragen, es gehe
Hasan nicht ums Geld, sondern um den Trotz, aber was habe man vom Trotz, wenn
man eingesperrt sei. Sie steckten zwar nicht in einem richtigen Gefängnis, auch
nicht in Kellern, sondern einfach so in einem Zimmer, aber wiederum – draußen
scheine die Sonne, und drin sei es düster, eine Qual sei es, auch nur eine
Stunde dort zu verbringen, wenn man nicht unbedingt muß, geschweige denn mehr.
    Er würde Hasan bestellen, sagte der
Knecht, daß ich nach ihm gefragt hätte, und daß er gleich zu mir kommen möge,
sobald er sich umgezogen und gebadet habe, denn er komme jedesmal verdreckt und
verlaust zurück und müsse sich dann auf dem Hofe ausziehen, damit er kein Ungeziefer
ins Haus schleppte. Ich aber möge, wenn es mir wichtig sei, in der Tekieh auf
ihn warten, sagte der Knecht, damit wir uns nicht wie zwei Narren suchten, und
wenn es nicht wichtig sei, komme es ohnehin nicht darauf an, ob und wann wir uns
träfen. Vielleicht wäre es sogar besser, Hasan würde erst ein bißchen schlafen,
denn er habe seit gestern früh kein Auge zugetan, wenn er's natürlich auch
fertigbringe, drei Tage und drei Nächte lang nicht zu schlafen, freilich könne
er dann auch ebensolang durchschlafen, man wecke ihn dann nur von Zeit zu Zeit,
damit er etwas esse, so ganz unbewußt, er schlafe dann gleich weiter wie ein
Tier, mög's Gott verzeihen. Wahrhaftig, so einen Menschen habe noch nie eine
Mutter geboren!
    Nicht ohne Grund suchte ich ihn. Ich
wollte mich nicht von ihm trösten oder ermutigen lassen. Ich weiß nicht, wie
ich auf den Gedanken kam, es war ja

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