Der Derwisch und der Tod
mit Zaim zu unterhalten, würde nicht einmal hören, was er mir
sagte, trotzdem hörte ich es und antwortete, obgleich alles in mir um und um
gewendet war, obgleich ich noch immer auf dem Kopf stand und nur langsam, ganz
langsam in die richtige Lage zurückkehrte, wobei ich sicher war, daß alles noch
wunderlicher aussähe, wenn ich ganz zu mir käme. Es gliche einer häßlichen
Trunkenheit, einem bösen Traum, später würde ich glauben, ich hätte mit Hexerei
zu tun gehabt und in Wirklichkeit wäre gar nichts gewesen.
Zaim wußte nicht, was in mir
vorging, er glaubte, ich hätte Erfolg gehabt.
„Das ist gut", sagte er, „daß
du für morgen wieder bestellt bist. Gewöhnlich tun sie das nicht. Das
bedeutet, daß du ihm gefallen hast, daß du bei ihm in Gunst stehst."
Du bist nicht gerade schlau, auch
nicht gerade wortgewandt, mein bester Zaim. O ja, ich habe ihm gefallen, sehr
sogar, der Atem ist ihm beinahe weggeblieben, als er hinausging, und die
Quälerei werden wir morgen fortsetzen.
Zaim
blickte mich verwirrt an, er suchte nach Worten.
„Ja, also,
ich möchte dich um was bitten."
War er nun an der Reihe, mir ins
Gesicht zu schauen und sich zu fragen, ob es nach seinen Worten erlösche? Ich
ermunterte ihn, lustlos, da es mir gerade noch einfiel.
„Sprich,
Kara-Zaim, sprich nur. Etwas quält dich."
So hätte der andere zu mir sprechen
sollen, vor ein paar Minuten.
„Ach, nichts quält mich. Aber sie
wissen hier nicht, wer ich bin, sie glauben, ich wär seit eh und je so
klapprig und engbrüstig. Ich meine nicht den Mufti, ich meine die andern."
„Ist mit
dir etwas passiert?"
„Nichts ist
passiert. Sie sagen, ich tauge nicht mehr für den Dienst."
„Sie entlassen
dich?"
„Das heißt, sie entlassen mich. Na,
und da dacht ich, wenn du vielleicht dem Mufti was sagtest, daß er mich
behalten soll. Zum Soldaten tauge ich nicht mehr, aber die Tür hüten, das
kann ich besser als andere. Ich kriege hundert Groschen im Jahr ..."
„Der Mufti kriegt
zwölftausend."
„Mit dem Mufti ist es was anders.
Und ich meine, wenn hundert Groschen zuviel sind, mögen 's meinetwegen weniger
sein, vielleicht achtzig. Mögen 's meinetwegen siebzig sein. Das heißt siebzig
im Jahr, das ist doch nicht zuviel? Siehst du, das möcht ich."
Gewiß, siebzig Groschen im Jahr sind
eigentlich nicht zuviel. Das heißt, mästen kannst du dich nicht von den siebzig
Groschen, mein lieber Zaim, der du einen schlimmen Fehler gemacht hast, indem
du nicht rechtzeitig gestorben bist. Aber verzeih mir, daß ich dich nicht
bedauern kann, zu lange mußte ich mit dem schwarzen Dämon ringen, und jetzt ist
mir alles verrenkt, kein Knochen mehr an seinem rechten Platz.
„Du taugst nicht zum Soldaten",
sprach ich, ohne nachzudenken, „aber ein Gewehr kannst du tragen. Einen Jatagan
kannst du tragen. Wieviel würdest du verlangen, wenn es darum ginge, daß wir
einen unschuldigen Menschen befreien? Er ist eingesperrt – Gott allein mag
wissen, warum, keine Schuld ist an ihm. Würdest du mitmachen für hundert
Groschen?"
Er war verwirrt.
„Ich weiß nicht, ob du mich prüfen
willst oder ob du was meinst, was wirklich sein kann."
„Antworte mir."
„Antworten ist nicht leicht. Als ich
noch der echte Kara-Zaim war, hätt ich nichts genommen. Jetzt aber, wenn es
eine anständige Sache ist ... Hundert Groschen?"
„Zweihundert."
„Zweihundert Groschen! Gnädiger
Gott! Drei Jahre lang könnte ich leben von den zweihundert Groschen. Ein
unschuldiger Mensch? Wo ist er?"
„In der Festung."
„Das heißt, zweihundert Groschen.
Und ein unschuldiger Mensch, in der Festung. Ich könnt's nicht."
„Vor zwanzig Jahren, hättest du da
mitgemacht? Auch wenn er in der Festung gewesen wäre? Vorausgesetzt, er ist
unschuldig, ohne Schuld eingesperrt?"
„Ich hätte mitgemacht."
„Und jetzt nicht?"
„Jetzt nicht."
„Dann also nicht."
„War das Ernst oder Scherz?"
„Ein Scherz. Ich wollte nur sehen,
wie sehr du dich verändert hast."
„Freilich hab ich mich verändert.
Aber wenn sie mich entlassen, kann ich dann mal zu dir kommen?"
„Wenn sie dich entlassen, werde ich
Arbeit für dich finden."
„Ich danke dir, ich werd dir's nicht
vergessen. Auf jeden Fall aber sprich morgen mit dem Mufti."
Um jeden Preis wollte er auf diesem
weißen Pfad bleiben, der vom Tor zum Haus führte. Ein Abglanz von der Bedeutung
des Muftis fiel auch auf ihn, den Unbedeutenden, und gewiß meinte er, es sei
gerade von hier viel näher zu dem einstigen
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