Der deutsche Goldrausch
Kageneck noch nicht entschieden hat, wer den ehemaligen VEB Holzhandel bekommen soll, arbeitet der Stasi-Oberst Herbert Köhler als Angestellter von Martin Schlaff in der Firma. Er bringt auch Besucher mit, darunter den ehemaligen SED-Oberbürgermeister von Dresden, Wolfgang Berghofer. Der hat Ende 1989 erfolglos versucht, mit anderen Abtrünnigen aus der SED in der SPD unterzukommen und dort eine neue politische Karriere zu starten. Nun betätigt er sich als Immobilienmakler. Das haben auch einige Mitarbeiter des Holzhandels mitbekommen. Sie fahren nach Berlin. In der Treuhandzentrale am Alexanderplatz treffen sie den Vertrauensbevollmächtigten, der Ende 1990 vom Vorstand eingesetzt worden ist. Der Mann soll Geschäfte unterbinden, bei denen Mitarbeiter der Staatssicherheit oder der SED verdienen. 9
Die Besucher erzählen von ihrem Eindruck, dass Münchner Wirtschaftsprüfer bei ihrem Unternehmen »einen manipulierten, deutlich zu niedrigen Substanzwert ermittelt haben«. 10 Außerdem sei die Robert Placzek AG aus Wien als Bewerber begünstigt worden, da sie schon seit dem Sommer Einfluss auf den Holzhandel und seine Geschäftsführung ausübe und einen genauen Überblick darüber habe, was der Betrieb an Werten vorweisen
kann. 11 Und auch das macht die Holzhandel-Delegation klar: Zu den Bedingungen, die der Placzek AG, wie es scheint, gewährt werden, wäre die Belegschaft bereit, das Unternehmen selber zu übernehmen.
Der Vertrauensbevollmächtigte nimmt die Sache auf. Das Privatisierungsteam um die Gräfin Kageneck wird von den Warnungen und dem Angebot der Holzhandel-Mitarbeiter jedoch nicht unterrichtet. Die Gräfin, für gewöhnlich außerordentlich hellhörig, wird später sagen: »Ich wußte nicht, daß zum Beispiel die Placzek-Holding da bereits mit Wirtschaftsprüfern rumgefummelt hat. Also dann, schwöre ich Ihnen, hätte ich die Dinge sehr, sehr kritisch beäugt, weil ich natürlich auch Fälle hatte, wo von Anfang an der einzigste [sic] potentielle Investor, den ich hatte, nach der Wende auf der Matte stand und seinen Wirtschaftsprüfer im Gepäck hatte. Bei solchen Dingen bin ich fast nie zum Abschluß gekommen.« 12
16. Januar 1991, Halle an der Saale
Klaus Klamroth bekommt Post von der Zentrale aus Berlin: »Sehr geehrter Herr Klamroth, im Hinblick auf die ungewöhnlich vielen, vielgestaltigen und schwierigen Aufgaben, die zwar gründlich, aber überaus zügig zu bearbeiten sind, stellen wir Sie von Rückgriffen für Schäden aus fahrlässigem Verhalten jeder Art bis zum 30. 06. 1991 frei. Ab 01. 07. 1991 gilt diese Freistellung nicht mehr für Schäden aufgrund grobfahrlässigen Verhaltens.« 13 Dieses Schreiben bekommen alle Mitarbeiter der Treuhand. Nun begreifen auch die Letzten, dass dieser Job nicht normal ist.
Die Treuhand-Niederlassung in Halle ist inzwischen umgezogen. Der Platz in dem Altbau am Alten Markt hat nicht mehr gereicht. Wie die Zentrale am Alexanderplatz in Berlin hat auch die Niederlassung Halle viele neue Mitarbeiter eingestellt. Fast alle stammen aus dem Westen. Aber es kommen auch einige Ostdeutsche hinzu. So lernt Klaus Klamroth, als er im Interhotel am Thälmannplatz wohnt, Sabine Silberberg (Name geändert) kennen, die gerade im Hotel auf die Kinder des Niederlassungsleiters Dr. Dickerhof aufpasst. Silberberg ist nicht zu übersehen: Knallrote, lockige Haare, grell lackierte Fingernägel. Eigentlich hat sie sich etwas anderes für die neuen Zeiten ausgerechnet, als Babysitterin wollte sie in ihrem Alter nicht mehr arbeiten. Vor der Wende hat sie den Intershop in dem Hotel geleitet, eine Führungsposition mit einigem Renomée in der DDR. Für die Sicherheit des Geschäfts war sie ebenfalls zuständig, die exklusiven Westwaren wurden gern aus dem »Shop« geklaut, auch von den eigenen Mitarbeitern.
Silberberg hat es in der DDR gefallen, obwohl sie viele »unsinnige Jobs« hatte. Bevor sie die Stelle im Intershop antritt, ist die studierte Ökonomin in einem staatlichen Planungsbüro angestellt. Dort soll sie den Arbeitskräftebedarf von Fabriken in der DDR vorausberechnen und hat den ganzen Tag nichts zu tun – die Betriebe kommen gut ohne ihre Daten aus. Die Stelle im Intershop gefällt ihr dagegen; als es mit dem Job und der DDR zu Ende geht, hofft sie für kurze Zeit, sich beruflich weiter verbessern zu können, immerhin, sie ist ja eine Führungskraft. Sie will mehr Geld und Verantwortung. Doch sie bekommt nur Vertreterjobs angeboten. Die lehnt sie ab und
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