Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der deutsche Goldrausch

Der deutsche Goldrausch

Titel: Der deutsche Goldrausch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laabs Dirk
Vom Netzwerk:
betriebswirtschaftlichen Vorgehen der Treuhandanstalt lediglich rund zwanzig Prozent der industriellen Arbeitsplätze im Beitrittsgebiet – das wären 700 000 von ehemals 3,4 Millionen Arbeitsplätzen in der Industrie – überleben. Eine weitgehende Deindustrialisierung des Beitrittsgebiets wäre in sozialer, ökonomischer und politischer Hinsicht nicht akzeptabel … Jetzt tritt unternehmerische Verantwortung für die (noch) nicht privatisierungsfähigen Unternehmen in den Vordergrund, also die Sanierungsaufgabe.« 25
    Langsam stellt sich auch bei einigen Akteuren in Bonn die Erkenntnis ein, dass man mit der reinen Lehre nicht weiterkommt. Sieben Tage später feiert die Abteilung VIII im Bundesfinanzministerium eine Premiere: Seit Dezember hatte sie jede Privatisierung genehmigt, die meisten ohne Auflagen. Heute lehnt sie zum ersten Mal den Verkauf eines ostdeutschen Betriebs ab. Im Fall der Magdeburger Armaturenwerke MAW AG müssen die Abfindungen und die Sozialpläne für die Arbeiter nachverhandelt werden, so das Urteil der Beamten in Bonn. Bis August wird das Finanzministerium keine weitere Privatisierung ablehnen.

Das Attentat
    18. März 1991, Leipzig
    Vor einem Jahr durften die Menschen in der DDR zum ersten Mal frei ihr Parlament wählen, nachdem sie monatelang vor allem in Leipzig gegen das SED-Regime demonstriert hatten. Nun gehen viele Ostdeutsche wie 1989 erneut auf die Straße, ebenfalls an einem Montagabend. Sie sind wütend über die Entwicklung ihres Landes in den letzten zwölf Monaten. Treffpunkt ist der Augustusplatz, wie der Karl-Marx-Platz in Leipzig inzwischen wieder heißt. Zu der Demonstration gegen Massenarbeitslosigkeit rufen Gewerkschaften, Kirchen und Bürgerrechtler auf. 30 000 Menschen kommen. Einige bringen Protestbanner mit, DDR-Fahnen finden sich nur wenige, von Nostalgie ist nichts zu spüren.
    Ein Plakat klagt an, dass die Treuhand 300 Milliarden Mark Volksvermögen vernichtet hat – nur Hitler sei »größer«, mithin zerstörerischer gewesen. 1 »Wahlbetrüger fangen mit K an« heißt es auf einem anderen Transparent, und darunter stehen die Namen »Krenz« und »Kohl«. Auf einen Stofffetzen hat jemand geschrieben: »Was 40 Jahre SED nicht schafften/Rote Socken und ihre Zuhälter aus West-Germany vollbrachten/Arbeitslosigkeit, Wild-West in der Wirtschaft.«
    Werner Schulz vom Bündnis 90 spricht vor den Demonstranten. Er sieht erschöpft aus, ist grau im Gesicht. Doch seine Stimme hat noch die alte Kraft: »Offensichtlich ist dieser Kanzler mehr an Stimmen interessiert gewesen, als sich heute ein Bild über die Stimmung in den Ostländern zu machen.« Die Menschen jubeln, man hört im Hintergrund Männer grölen. Schulz: »Aber noch lebt in uns etwas, noch lebt der Geist des Herbstes 89, und wir sollten uns nicht niederdrücken lassen, wenn der Kanzler nicht zu uns kommt, dann sollten wir zu diesem Kanzler gehen … Sie alle haben ein Recht darauf, dass eigentlich der Kanzler hier steht und sich zu seinen Versprechungen bekennt. Ich schlage vor, einen Sternmarsch aus den ostdeutschen Ländern im Frühjahr auf die idyllische Stadt Bonn …« – Schulz kann zunächst nicht weitersprechen, die Menschen jubeln zu laut – »… um dort den Herren deutlich zu machen, unter welchen Problemen die Leute hier stehen.«

    Von den 500 000 Einwohnern Leipzigs sind inzwischen 40 000 arbeitslos und 100 000 auf Kurzarbeit null gesetzt. Am 30. Juni laufen viele der Kurzarbeiterverträge aus. Ein Stadtbeamter sagt einer Zeitung, dann komme »ein Umbruch in Dimensionen, in Größenordnungen auf uns zu, den kaum jemand richtig begreift«. 2
    In der Nikolaikirche, vor zwei Jahren eine Keimzelle der Widerstandsbewegung gegen die SED-Regierung, wird die Demonstration mit Gebeten und einer Andacht begleitet. Seit September gibt es dort Gesprächskreise unter dem Motto: »Hoffnung für Arbeitslose«. Der Pfarrer Christian Führer kritisiert in seiner Ansprache das »unverantwortliche Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte der Marktwirtschaft«. Er stellt eine »verhängnisvolle Resignation und Aggression« unter den Leipzigern fest. Die »Erniedrigten und Beleidigten« sollten am kommenden Montag wieder demonstrieren. 3
     
    Am Nachmittag zuvor hat die Körber-Stiftung zu einer Diskussion in Dresden eingeladen: »Die Rolle der Treuhandanstalt beim Umbau des Industriestandortes Sachsen«. 4 Unter anderen ist Birgit Breuel aus dem Treuhandvorstand erschienen. Den ganzen Nachmittag wird

Weitere Kostenlose Bücher