Der deutsche Goldrausch
einer Mitarbeiterin gesagt: ›Gucken Sie mal, mit welchem Auto der da ist.‹ Dann haben wir das Kennzeichen aufgeschrieben und siehe da: Es war ein Immobilienmakler. Dreist ohne Ende, hatte sich als Mitarbeiter der Treuhandanstalt vorgestellt, zufälligerweise nur die Visitenkarte vergessen.« In der Zentrale bekommt man einiges von Capellens Arbeit mit. »Der eine oder andere aus Berlin hat gesagt: ›Wenn Sie mal abends in Halle unterwegs sind, versuchen Sie immer mit dem Rücken zur Wand zu sitzen.‹«
In Berlin verzichtet der Treuhandpräsident Rohwedder in dieser Zeit manchmal abends auf seinen Wagen. Er übernachtet im »Grand Hotel« in der Friedrichstraße, dorthin will er lieber zu Fuß gehen, um in seinen wenigen freien Minuten frische Luft zu schnappen. Seine Leibwächter macht das nervös, denn ihr Chef ist auf der Straße nur schwer zu schützen. Rohwedder deutet eines Tages auf ein düsteres Haus auf der andere Straßenseite des Hotels, das aussieht, als hätte in dem Gebäude vor kurzem noch die Staatssicherheit residiert. Auch von dort könnten Attentäter auf ihn zielen, bemerkt er, und: Wenn jemand ihn wirklich erwischen will, hätte er sowieso keine Chance. Ungefähr zur gleichen Zeit wird ein enger Vertrauter Rohwedders von seiner Ehefrau gebeten, nicht mehr im Auto des Treuhandpräsidenten mitzufahren. Die Frau hat zu große Angst vor Attentaten.
13. Februar 1991, Berlin
Detlef Scheunert in der Zentrale in Berlin spürt, wie der Druck zunimmt. Schon wieder demonstrieren Interflug-Arbeiter auf dem Alexanderplatz vor der Treuhand. Plakate werden gezeigt: »Treuhand = Mafia«, »Durch Treuhand veruntreut«; »2900 Arbeitslose mehr – Dank Treu(er) Hand- (langer)«. Ein Demonstrant hält eine Puppe hoch, die eine Pilotenuniform
und -mütze trägt. Um den Hals hat sie einen Strick gebunden. Auf einer schwarzen Fahne, die im Winterwind flattert, steht in roten, weiß umrandeten Lettern: »Treuhand«. Darüber ist wie auf einer Piratenfahne ein Totenschädel gemalt. Auch an diesem Tag drängen die Demonstranten ins Gebäude, wollen die zuständigen Treuhänder mit ihren Problemen konfrontieren, mit ihnen sprechen. Es ändert nichts. Wenige Tage später gibt die Treuhand bekannt, dass Interflug im April zum letzten Mal fliegen und danach endgültig vom Himmel verschwinden wird. Detlef Scheunert erinnert sich an die Zeit: »Es gab gerade in Sachsen und Thüringen Regionen mit bis zu 60 Prozent Arbeitslosigkeit. Die Zahl wurde politisch kaschiert, weil die Leute in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, in Fortbildungsmaßnahmen und so weiter geparkt wurden. Deswegen waren die offiziellen Zahlen viel niedriger, aber die faktische Arbeitslosigkeit, die lag in dieser Größenordnung. Es gab Orte mit 90 Prozent Arbeitslosigkeit, für einige Monate.« Eine geheime Untersuchung der Treuhandanstalt prognostiziert sechs Millionen Arbeitslose bis Ende 1991. Die Zahlen werden nie veröffentlicht. Auch nicht intern.
Ende Februar scheint die Lage noch angespannter, so Scheunert: »Man hatte das Gefühl, dass die Politik im entscheidenden Moment die Treuhänder allein ließ. Vielleicht auch aus einer gewissen Überforderung heraus. Ich war mal im Finanzministerium, kam gerade aus einer Demonstration, hatte mehrere Unternehmen, wo gestreikt wurde, es gab sogar Hungerstreiks, also es brannte an allen Ecken und Enden. Dann kam ich nach Bonn wegen eines Privatisierungsfalles, den wir dort abstimmen mussten. Die Beamten brauchten allen Ernstes eine Stunde, bevor sie in die Tagesordnung eintreten konnten, weil sie sich nicht einigen konnten, wer zuständig war. Das war so weit weg und so unwirklich. Ich werde mich immer an das Plätschern eines kleinen Springbrunnens dort erinnern. Die Sonne schien, es war so eine Stille in dem Haus. Man hat nicht gedacht, dass es dasselbe Land ist. Ich habe gedacht, das ist ein anderer Planet – das kann nicht wahr sein, dass diese Leute die politischen Rahmenbedingungen definierten. Die konnten das gar nicht verstehen.« Scheunert sagt, es wäre anders gekommen, wenn die Regierung damals schon in Berlin gesessen und die Verantwortlichen erlebt hätten, wie es ist, »wenn dir verärgerte Arbeiter mit Stangen auf dein Autodach schlagen«.
Scheunert besucht viele der gefährdeten Betriebe, in manchen war er schon als DDR-Ministerialer zu Besuch. Doch er trägt eine andere Frisur, eine andere Brille, andere Anzüge. Er hat sich so verändert, dass er nicht erkannt wird. An einem
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