Der deutsche Goldrausch
mehr weiter können.«
Protestplakate, überall in der Stadt: »Gestern Honecker u. Konsorten/ Heut wieder betrogen an allen Orten«, ein anderes: »Kohl und Treuhand = Deutschlands größte Schand!« Eine ältere Frau bekennt einem Fernsehjournalisten: »Ich sag’s Ihnen mit meinem sächsischen Gemüt. Die bei der Treuhandanstalt, das sind für mich Verbrecher.« 12
Während die Menge durch Leipzig zieht, ertönen Sprechchöre: »Schließt euch an!« Der Slogan ist derselbe, und auch die Strecke, die der Protestzug nimmt, ist dieselbe wie im Herbst vor zwei Jahren: Die Demonstranten ziehen über den Innenstadtring, dann am »Hotel Astoria« vorbei und am »Runden Eck«, einem Verwaltungsgebäude, in dem bis vor kurzem die Staatssicherheit untergebracht war und nun das Arbeitsamt seine Geschäftsstelle hat. 13 Ein alter Mann in der Menge, Schiebermütze, schwarze Fahne über der Schulter, sagt: »Die Investitionspolitik von Kohl ist verkehrt gewesen. Die Treuhand hat uns belogen und ausgebeutet.« Eine ältere Frau mit grauem Barett fügt an: »Es fehlt nicht mehr viel, entweder man resigniert oder es eskaliert.«
Am selben Tag erscheint im »Spiegel« erneut ein Artikel über die Arbeit der Treuhand. Vor drei Wochen hat das Magazin geschrieben: »Ohne die Treuhand geht im Osten nichts, mit ihr läuft auch nicht viel … Sie ist ein Staat im Staat, eine Konzentration wirtschaftlicher Macht, wie es sie kein zweites Mal gibt – und wie es sie eigentlich auch ein erstes Mal nicht geben dürfte … Es ist absurd, die Verantwortung dafür einer Einrichtung zu überlassen, die sich jeder parlamentarischen Kontrolle entzieht. Mit der Treuhand, der mächtigsten Institution im Lande, beschäftigt sich in Bonn, wenn überhaupt, ein Unterausschuss des Haushaltsausschusses – ein Witz, wenn nicht mehr: ein Skandal.« Der Artikel schließt mit dem Satz: »Die Zukunft Ostdeutschlands ist zu wichtig, um sie einer Institution wie der Treuhand zu überlassen.« 14
An diesem Montag legen die Reporter vom »Spiegel« nach: »›Einmalig‹ und ›in der Geschichte ohne Vorbild‹ sei die Aufgabe der Treuhand, den
sozialistischen Trümmerhaufen in eine funktionierende Marktwirtschaft zu verwandeln, sagte Detlev Karsten Rohwedder, als er im August 1990 die Geschäftsführung der Mammut-Holding übernahm. Inzwischen ist Rohwedder zum bestgehaßten Mann unter ostdeutschen Werktätigen geworden, zum Buhmann von Managern und Investoren … Alles laufe prima, die Treuhand sei ein ›effizientes Unternehmen‹, prahlte Rohwedder noch Ende Februar, als die Stimmung in Ostdeutschland längst umgekippt war.« 15
Der Treuhandvorstand bespricht diesen Artikel auf einer Sitzung. Vor allem die Formulierung »der bestgehaßte Mann unter ostdeutschen Werktätigen«, ohne Angabe einer Quelle, macht der Treuhandführung Sorge. Die Wut auf die Treuhand wird immer stärker personalisiert. In Erfurt sind zudem Graffiti aufgetaucht: »Rohwedder ermorden« war da auf einer Häuserwand zu lesen.
Unter anderem um die Treuhandmitarbeiter, die alten der ersten Stunde und die vielen neuen Kollegen, zu beruhigen, schreibt Detlev Karsten Rohwedder vor Ostern einen Brief, der Ende der Woche an alle Mitarbeiter geschickt wird. Er läutet jedoch keine Umkehr in der Treuhandstrategie ein, sondern bestätigt den Kurs: »Die Treuhand erfüllt ihren Auftrag. Schnelle Privatisierung – entschlossene Sanierung – behutsame Stillegung … Die Entscheidung für die deutsche Einheit war zugleich eine Entscheidung für die Soziale Marktwirtschaft in ganz Deutschland … Priorität wird auch weiterhin die Überführung von Unternehmen in privates Eigentum haben. Dies ist der beste Weg, um mit neuem Wissen, neuem Kapital und neuen strategischen Unternehmenszielen ein Unternehmen und seine Arbeitsplätze zu erhalten und ihm seine Zukunft zu geben. Privatisierung ist die wirksamste Sanierung … In einem Prozeß, den das ganze deutsche Volk wollte, hat die Treuhandanstalt eine schwere Aufgabe, schmerzliche, aber unvermeidliche Umstellungen zu verantworten, die nötig sind, um das gemeinsame Ziel zu erreichen … Vorstand und Mitarbeiter müssen wohl volles Verständnis dafür haben, daß diese Arbeit mit kritischer Aufmerksamkeit begleitet wird. Anfeindungen und Verleumdungen sind aber keine Kritik und können uns daher nicht treffen.« 16
Obwohl Ostern vor der Tür steht, hat Detlev Karsten Rohwedder jede Menge Termine. Eine der letzten Besucherinnen
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