Der deutsche Goldrausch
sie mit vehementer Kritik konfrontiert. Sie verteidigt sich und die Anstalt: »Wir haben 9000 Betriebe in unserem Computer. 1000 haben wir verkauft, 500 sind in der Abwicklung. Unser Hauptziel ist zu verkaufen, nicht zu schließen … Wir geben lieber billiger an den ab, der investieren will. Ein massiver Abbau in der Textilindustrie ist zum Überleben notwendig. Aber wir finanzieren alle Unternehmen während der Übergänge. Das sind Hunderte Millionen Mark pro Monat. Sonst würde es keine Textil- und Chemie-Industrie mehr geben. Und wenn wir nach westlichen Grundsätzen vorgehen würden, wären 70 Prozent der Betriebe weg.«
Auf der Konferenz wird Breuel auch von lokalen Politikern attackiert. Die werfen der Treuhand vor, den Umbau der ostdeutschen Wirtschaft zu blockieren. Breuel ist konsterniert: »Die Kommunen haben fast einen verbitterten Hass auf die Treuhand entwickelt.«
Der Geistliche Kurt Domsch aus Neustadt in Sachsen schildert den Managern und Politikern in Dresden die Realität, wie er sie erlebt: »In Ostsachsen funktioniert keine Industrie mehr. Die Textilindustrie ist futsch. Die Landmaschinenindustrie ist futsch. Und die Kunstblumenindustrie ist futsch. Ich sage Ihnen: Wie verkraften keine vier Millionen Arbeitslose, von denen schon gesprochen wird. Zwar hat Herr Lothar Späth aus Stuttgart
behauptet: ›Das federn wir alles sozial ab!‹ Aber das ist nicht abzufedern, nicht bei uns! Für die Menschen hier ist Arbeit nämlich ein Wert an sich, nicht ein Job.«
Alle Redner scheinen mit ihrem Latein am Ende zu sein. Der ehemalige Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, Vorgänger von Detlev Karsten Rohwedder als Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, ruft aus: »Wir wagen ein unvorstellbares Wagnis! Es wäre viel leichter gewesen, Frankreich mit Deutschland zu vereinigen. Hier paßt nichts aufeinander, paßt nichts zusammen – nur der Wille zur Vereinigung. Ich kann mich über die Treuhand nicht beschweren. Aber natürlich ist es ein höchst absurdes Unternehmen. Sie sagt zu allem: ›Privatisieren!‹ Sie selbst aber ist das größte Monopolunternehmen der Welt. Was der Treuhand fehlt, ist die Konkurrenz. Wir müßten sieben bis acht Treuhände haben!«
Birgit Breuel, zermürbt und müde, wird schließlich wütend: »Langsam reicht es mir; in jeder Zeitung, von jedem Verband, von den Kommunen, wohin man schaut und hört, wird die Treuhand beschimpft.« Der Vorstand könnte mit der Kritik leben, aber die 2000 Mitarbeiter, die unter miesesten Bedingungen arbeiten müssten, würden nach und nach demotiviert. 5 »Unsere Arbeitszeit bei der Treuhand beginnt um sieben und endet um 23 Uhr. In nur vier Monaten haben wir 1000 Unternehmen verkauft. Madame Thatcher hat in zwei Jahren nur 25 geschafft, und die Bundesregierung braucht ein Jahr für eines. Was wir geleistet haben, hätte keine andere Behörde der Welt geleistet. Und doch werden wir in einer Art und Weise ins Kreuzfeuer genommen, die nicht mehr erträglich ist.« 6
19. März 1991, Bonn
Auf der wöchentlichen Kabinettssitzung am Dienstag werden die Demonstrationen in Leipzig und in anderen ostdeutschen Städten »mit keinem Wort erwähnt«. 7 Der Regierungssprecher, Dieter Vogel, teilt der Presse in Bonn nach der Sitzung mit, die Proteste hätten gar nicht auf der Tagesordnung gestanden: »Die Schwierigkeiten, die es heute in der einstigen DDR gibt, sind auch nicht die Folge der Politik dieser Regierung, sondern die der vorangegangenen vierzigjährigen Mißwirtschaft.«
Vogel betont, dass die Bundesregierung 103 Milliarden D-Mark für Ostdeutschland zur Verfügung gestellt hat – vor wenigen Tagen habe man ja das Programm »Aufschwung Ost« verabschiedet. Dies hätten die Demonstranten wohl nicht gewusst. Die Regierung sei verärgert über die politischen
Anheizer, die den Menschen eintrichterten, an allen Problemen sei die Bundesregierung schuld, so Vogel.
Eine Zeitung zitiert ein anonymes Regierungsmitglied: Man habe derzeit keine Vorstellung, wie der Unzufriedenheit und Verzweiflung vieler Demonstranten über ihre wirtschaftliche Lage, insbesondere über die Arbeitslosigkeit, begegnet werden könne. 8 Der Bundesregierung bereite zudem Sorge, dass sie immer mehr Briefe von Westdeutschen bekomme, die sich über die hohen Zahlungen an Ostdeutschland beschweren. 9
Am Nachmittag des Vortages sagte Bundeskanzler Kohl am Rande der CDU/CSU-Fraktionssitzung, dass er immer auf die Opfer und die Schwierigkeiten hingewiesen habe,
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