Der deutsche Goldrausch
Disketten mitgehen lassen, um mal genauer zu sehen, in welche Hände tatsächlich die vielen Milliarden aus Bonn fließen und wer dadurch geschmiert wird oder sich »saniert«. Die im realen Sozialismus auch nur auf dem Papier volkseigenen Betriebe sollen endlich in des Volkes, der ArbeiterInnen Hände übergehen. Sie sollen allein entscheiden, was sie mit den Sanierungsmilliarden machen. Schließlich sind es ArbeiterInnen, die die Profite der Kapitalisten und die Steuereinnahmen der Staatsbürokratie erwirtschaften. Ihnen gehört die Kohle, ihnen gehören die Häuser und Ländereien!
»Es ist nicht möglich, dass ein Mensch dieser Tyrannei zum Nachdenken kommt. Ganz Deutschland schuftet, damit einige Herren prassen können. Die Leute wachen auf. Sie wollen keine Ochsen sein, die Prunkkarren ziehen« (Thomas Münzer).
Berlin, 29. 3. 1991
Thomas Münzers Wilder Haufen
Der Brief der Brandstifter ist mit einer Schreibmaschine geschrieben. Der Staatsschutz des LKA in Berlin stuft ihn als authentisch ein. Die Gruppe »Thomas Münzers Wilder Haufen« wurde schon 1988 mit drei Brandanschlägen in Berlin in Verbindung gebracht. 20 Die Staatsschützer vermuten seit längerem, dass die Mitglieder aus der autonomen Szene Berlins stammen. Da auch das Büro des Vertrauensbevollmächtigten angezündet worden ist, spekuliert ein Sprecher der Treuhand, dass auch ehemalige Stasi-Mitarbeiter hinter dem Anschlag stecken könnten.
Zwei Tage später schicken die mutmaßlichen Attentäter einen zweiten Brief, geschrieben auf dem Papier der Treuhand-Niederlassung Berlin:
Wir sind weder die Stasi noch Wirtschaftskriminelle oder deren HelferInnen. Daß wir vom Osten (bzw. jetzt vom Stasi [sic]) bezahlt werden, hören wir schon seit Jahrzehnten. Uns war aus revolutionärer Sicht (die gibt’s tatsächlich noch) daran gelegen, die Arbeit des Superkonzerns Treuhand ein wenig zu sabotieren und einige Machenschaften aufzudecken …
Mit revolutionären Grüßen
Thomas Münzers Wilder Haufen 21
Das erste Bekennerschreiben wird auch an das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen weitergeleitet, das für den Schutz des Treuhandpräsidenten zuständig ist, wenn der sich – wie über Ostern – zu Hause in Düsseldorf angemeldet hat.
30. März 1991, Frankfurt
Das letzte Interview mit Detlev Karsten Rohwedder erscheint in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Jetzt leitet er doch eine Wende ein: »Ich habe eine hundertprozentige Privatisierung nie für möglich gehalten.« Die Zeitung schreibt: »Viele Großunternehmen – zum Beispiel der Schwermaschinenbau, die Werften und die Stahlindustrie – werden nach Rohwedders
Einschätzung mit hohen staatlichen Beteiligungen aus dem Privatisierungsprozess hervorgehen, selbst wenn sie keine Verluste mehr erwirtschaften.« Rohwedder hat begriffen: Die reine Marktwirtschaft wird die Probleme in Ostdeutschland nicht lösen können. Aber noch will er von einem Staat, der die ganze Wirtschaft in der ehemaligen DDR finanzieren muss, nichts wissen. Er sucht nach einem Mittelweg. An diesem Samstag spricht er in der Pforzheimer Industrie- und Handelskammer. Die Treuhand dürfe nicht einfach nur den bisherigen Status quo finanzieren. Die Sanierung sei das Wichtigste, aber er will immer noch, dass die Investoren – und nicht der Staat – die Betriebe sanieren. In diesem Punkt bleibt er sich treu.
1. April 1991, Düsseldorf
Detlev Karsten Rohwedder wohnt mit seiner Frau in einer kleinen Villa in der Nähe des Rheinufers. Das Haus aus dunkelrotem Backstein gehört dem Hoesch-Konzern, die Rohwedders dürfen trotz Treuhand-Engagement weiterhin dort wohnen. Hier, im Oberkasseler Kaiser-Friedrich-Ring am westlichen, also linksrheinischen Ufer leben Ärzte, Rechtsanwälte, Manager.
In der Villa neben den Rohwedders wohnt der ehemalige Thyssen-Vorstandsvorsitzende Dieter Spethmann. 22 Spethmann hat vor einer Woche seinen Posten als Thyssen-Chef aufgegeben, hat sich in seinem Vertrag jedoch zusichern lassen, dass er auf Lebenszeit in dem Anwesen wohnen darf.
Die »Villa Maximilian« der Rohwedders ist verglichen mit dem Haus der Spethmanns bescheiden. Sie ist nur durch eine Hecke und einen Stahlzaun, nicht etwa durch eine hohe Mauer, von der Straße getrennt. Eine eigene Auffahrt, wie die Villa nebenan, hat das Haus nicht. Von der Eingangstür bis zum Bürgersteig sind es keine zehn Meter; man kann das Haus von der Straße aus gut sehen.
Als die Personenschützer des LKA Nordrhein-Westfalen den
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