Der deutsche Goldrausch
Standardmunition für militärische Sturmgewehre, wie sie auch die NATO-Soldaten benutzen. Ein blaues Frotteehandtuch, durchnässt vom Regen in der Nacht, hängt in dem Busch neben dem Stuhl. Vor dem Stuhl liegt ein Fernglas im Gras, darunter ein Blatt Papier. Ein Bekennerschreiben:
WER NICHT KÄMPFT, STIRBT AUF RATEN –
FREIHEIT IST NUR MÖGLICH IM KAMPF UM BEFREIUNG
GEGEN DEN SPRUNG DER IMPERIALISTISCHEN BESTIE –
UNSEREN SPRUNG IM AUFBAU DER REVOLUTIONÄREN
GEGENMACHT!
DIE BEDINGUNGEN FÜR MENSCHENWÜRDIGES UND
SELBSTBESTIMMTES LEBEN IM KAMPF GEGEN DIE
REAKTIONÄREN GROSSDEUTSCHEN UND WESTEUROPÄISCHEN
PLÄNE ZUR UNTERWERFUNG UND AUSBEUTUNG DER
MENSCHEN HIER UND IM TRIKONT DURCHSETZEN!
ZUSAMMEN KÄMPFEN UND WIR WERDEN ZUSAMMEN SIEGEN!
ROTE ARMEE FRAKTION
KOMMANDO ULRICH WESSEL. 25
Auf dem Schreiben ist der fünfzackige rote Stern der RAF abgebildet.
Business as usual
2. April 1991, Berlin
Detlef Scheunert kehrt spät am Abend mit seiner Familie aus dem Osterurlaub nach Berlin zurück. Bevor er ins Bett geht, schaltet er noch einmal den Fernseher ein. Das ZDF zeigt »Der Maulwurf« mit Lino Ventura. Ein Schriftband läuft über den unteren Teil des Bildschirms: »Detlev Rohwedder in seiner Wohnung in Düsseldorf erschossen«.
Franz Wauschkuhn, designierter Pressesprecher der Treuhand, liegt schon im Bett, als ihn ein Kollege im Berliner »Grand Hotel« anruft: »Hör mal zu, Franz, gerade eben ist in den Nachrichten gekommen, dass dein neuer Boss, Rohwedder, erschossen worden ist.«
Wauschkuhn springt auf und entscheidet, zur Treuhand am Alexanderplatz zu fahren, obwohl er noch gar nicht offiziell im Amt ist: »Ich stand dann da im Dunkeln, dann kamen die Kollegen vom SFB, vom Deutschlandfunk und so weiter. Ich konnte nur letztlich den tiefen Schock ausdrücken, den viele Mitarbeiter der Treuhandanstalt fühlten. Am nächsten Morgen haben Frauen in der Treuhand fassungslos geweint. Denn Rohwedder war das eigentliche Herz der Treuhandanstalt. Und die Attentäter haben mit ihm das Herz der Treuhandanstalt erschossen.«
Klaus-Peter Wild stellt sich seinen Radiowecker immer auf die Nachrichten um sechs Uhr morgens. Er ist sofort hellwach, als er hört: Rohwedder ist ermordet worden, seine Frau schwer verletzt. In den nächsten Stunden wird er als einer der Nachfolger gehandelt. Er hofft, dass hinter der Tat kein Ostdeutscher steckt. Denn könnte das Deutschland, gerade vereint, verkraften, wenn ein Ostdeutscher den westdeutschen Chef der Treuhandanstalt erschießt? Sind die vielen Demonstrationen vielleicht doch umgeschlagen in mörderischen Hass?
Im Morgengrauen, gut sichtbar für die vielen Fernsehkameras hinter der Absperrung am Tatort, trägt ein Ermittler das Bekennerschreiben in einer Klarsichthülle den kleinen Wall zu den Pappeln hinauf – der rote fünfzackige Stern ist kurz zu erkennen. Trotzdem spekulieren ein Hamburger
Verfassungsschützer und der Bundesfinanzminister Theo Waigel, dass die Staatssicherheit hinter der Tat steckt. In den letzten Wochen waren detaillierte Berichte über die Unterstützung der RAF durch die Staatssicherheit veröffentlicht worden. 1
Um kurz nach acht Uhr wird der Leichnam aus dem Haus getragen und in den Wagen eines Bestattungsunternehmers geladen. Um kurz nach neun Uhr am Morgen trifft der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble vor dem Haus Rohwedders ein. Schäuble sitzt, seit er im Oktober 1990 von einem Attentäter angeschossen wurde, im Rollstuhl. Er wird vom seinem Innenstaatssekretär Hans Neusel begleitet, der im Juli 1990 ein Bombenattentat der RAF auf sein Auto überlebt hat. Beide geben am Tatort keinen Kommentar ab.
Auch der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Herbert Schnoor, besucht den Tatort an diesem Vormittag für eine halbe Stunde. Sein Ministerium war für den Schutz des Treuhandchefs verantwortlich, wenn dieser sich in Düsseldorf aufhielt. Es stellt sich heraus, dass nur die unteren Scheiben des Hauses gepanzert sind, die oberen nicht. So konnten die Schüsse ohne Probleme und Widerstand die Scheiben durchschlagen.
Ein Gutachten der Kriminalpolizei hatte schon im September 1990 gefordert, alle Fenster gemäß DIN 52290 mit sogenanntem Panzerglas zu versehen. Auf einer Pressekonferenz deutet der Düsseldorfer Kripochef an, dass Rohwedder selbst die Panzerung nicht gewollt habe: »Wir können nur empfehlen, niemanden zwingen.« Tatsächlich hatte sich das Innenministerium darauf verlassen, dass die Firma Hoesch,
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