Der Distelfink
bei jemandem zu Hause. Essen um acht! Daran erinnere ich mich. Aber wo, das weiß ich nicht mehr. «
» Bei den Longstreets « , sagte ich, und das Herz rutschte mir in die Hose.
» Das klingt richtig. Jedenfalls– Boris! Sehr unterhaltsam– sehr charmant– wie lange ist er in der Stadt? Wie lange bleibt er hier? « , wiederholte er liebenswürdig, als ich nicht antwortete– er konnte mein Gesicht nicht sehen, das entsetzt auf die Straße hinausstarrte. » Wir sollten ihn zum Essen einladen, meinst du nicht? Bitte ihn doch, dir einen oder zwei Abende zu sagen, an denen er Zeit hat, ja? Das heißt, wenn du möchtest « , fügte er hinzu, als ich nicht antwortete. » Liegt bei dir, sag mir Bescheid. «
XII
Ungefähr zwei Stunden später– erschöpft und mit Tränen in den Augen vor lauter Kopfschmerzen– überlegte ich immer noch panisch, wie ich Popper zurückkriegen konnte, und gleichzeitig erfand und verwarf ich Erklärungen für seine Abwesenheit. Ich hatte ihn vor einem Geschäft angebunden und vergessen? Jemand hatte ihn geklaut? Eine offensichtliche Lüge, denn mal ganz abgesehen davon, dass es in Strömen regnete, war Popper so alt und an der Leine so schrullig, dass ich ihn kaum bis zum Feuerhydranten schleifen konnte. Haustierpflegerin? Poppers Frisörin, eine bedürftig aussehende alte Lady namens Cecelia, die ihr Geschäft zu Hause betrieb, brachte ihn immer bis drei zurück. Tierarzt? Abgesehen davon, dass Popper nicht krank war (und warum sollte ich es nicht erwähnt haben, wenn er es wäre?), ging Popper zu dem Tierarzt, den Hobie seit den Tagen Weltys und Chessies kannte. Dr. McDermotts Praxis war ein Stück weiter unten an der Straße. Warum hätte ich mit ihm woanders hingehen sollen?
Ich stöhnte, stand auf, ging zum Fenster. Immer wieder landete ich in derselben Sackgasse: Hobie kam verwundert hereinspaziert, wie er es in einer oder zwei Stunden zwangsläufig tun würde, und sah sich im Laden um. » Wo ist Popper? Hast du ihn gesehen? « Und das war’s– die Endlosschleife, kein Ausweg über ALT - TAB . Man konnte das Spiel zwangsbeenden, den Computer herunterfahren, neustarten und das Programm noch einmal laufen lassen, aber es würde an derselben Stelle erneut hängenbleiben und abstürzen. » Wo ist Popper? « Kein Cheatcode. Game over. Es gab keine Lösung über diesen Moment hinaus.
Aus wehenden Regenschleiern war richtiger Niesel geworden. Die Gehwege glänzten, das Wasser tropfte von den Markisen, und anscheinend hatte jedermann auf der Straße den Augenblick genutzt, um einen Regenmantel überzuwerfen und mit dem Hund bis zur Ecke zu flitzen: Hunde, wohin das Auge fiel, schwerfällige Schäferhunde, schwarze Standardpudel, Terrier-Tölen, Retriever-Tölen, eine ältere französische Bulldogge und ein hochnäsiges Dackelpaar mit erhobenem Kinn, das im Tandem zickig über die Straße trippelte. Erregt kehrte ich zu meinem Sessel zurück, setzte mich hin, griff zu Christie’s Hausverkaufskatalog und blätterte konfus darin: grässliche modernistische Aquarelle, zweitausend Dollar für eine hässliche viktorianische Bronze mit zwei kämpfenden Büffeln, absurd.
Was sollte ich Hobie erzählen? Popper war alt und taub, und manchmal schlief er in entlegenen Ecken ein, wo er es nicht sofort hörte, wenn man ihn rief, aber bald wäre es Zeit für sein Essen, und dann würde ich Hobie oben herumlaufen und ihn suchen hören, hinter dem Sofa und in Pippas Zimmer und an allen anderen gewohnten Stellen. » Popsky? Hierher, mein Junge! Essenszeit! « Konnte ich Ahnungslosigkeit vorschützen? Zum Schein mit ihm das Haus durchsuchen? Mich ratlos am Kopf kratzen? Rätselhaftes Verschwinden? Bermuda-Dreieck? Verzagt wandte ich mich wieder der Idee mit der Hundepflegerin zu, als die Ladenglocke klingelte.
» Ich hätte ihn fast behalten. «
Popper– ein bisschen feucht, aber sonst nicht weiter strapaziert nach seinem Abenteuer– streckte ziemlich förmlich die Beine, als Boris ihn auf den Boden setzte, und kam dann zu mir herübergetrippelt und hielt den Kopf hoch, damit ich ihn unter dem Kinn kraulen konnte.
» Er hat dich kein bisschen vermisst « , sagte Boris. » Wir hatten einen sehr netten Tag zusammen. «
» Was habt ihr gemacht? « , fragte ich nach langem Schweigen, weil mir nichts anderes einfiel.
» Geschlafen, hauptsächlich. Juri hat uns abgesetzt « , er rieb sich die umschatteten Augen und gähnte, » und wir haben ein sehr nettes Nickerchen zusammen gemacht, wir beide.
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