Der Distelfink
nein « , sagte Etta, als ich in die Küche kam und sie bat, für mich anzuklopfen, » sie ist auf den Beinen. Ich habe ihr vor nicht mal einer Stunde einen Tee gebracht. «
» Auf den Beinen « bedeutete bei Mrs. Barbour Pyjama und vom Hündchen zerkaute Pantoffeln und darüber etwas, das aussah wie ein alter Opernmantel. » Oh, Theo! « , sagte sie, und ihr Gesicht öffnete sich mit einer anrührenden, schutzlosen Schlichtheit, die mich an Andy erinnerte, wenn er sich– was selten vorkam– einmal wirklich freute, zum Beispiel, als sein 22-mm-Teleskopokular von Nagler mit der Post gekommen war, oder bei der glücklichen Entdeckung der LARP -Porno-Website: Liveaction-Rollenspiele mit großbusigen, schwerterschwenkenden Maiden, die es mit Rittern und Zauberern und dergleichen trieben. » Was für ein lieber, lieber Schatz du doch bist! «
» Sie haben ihn hoffentlich noch nicht? «
» Nein. « Sie blätterte entzückt in dem Katalog. » Das ist perfekt! Du wirst es niemals, niemals glauben, aber ich habe diese Ausstellung in Boston gesehen, als ich auf dem College war. «
» Sie muss toll gewesen sein. « Ich ließ mich in einen Sessel sinken, viel glücklicher, als ich es noch vor einer Stunde für möglich gehalten hätte. Krank wegen des Bildes, krank vor Kopfschmerzen, verzweifelt bei dem Gedanken an ein Abendessen bei den Longstreets, hatte ich mich gefragt, wie zum Teufel ich einen Abend mit Krebs-Gratin und Forrests Vorträgen über die Wirtschaft überstehen sollte, wenn ich im Grunde nichts anderes wollte, als mir das Hirn aus dem Schädel zu koksen. Ich hatte versucht, Kitsey anzurufen und sie anzuflehen, wegen Krankheit abzusagen, sodass wir uns verdrücken und den Abend in ihrem Apartment im Bett verbringen könnten. Aber wie es an Kitseys freien Tagen provokant oft passierte, waren meine Anrufe unerwidert geblieben, SMS und E-Mails waren nicht beantwortet worden, und das Handy hatte sofort auf die Mailbox geschaltet. » Ich muss mir ein neues Telefon besorgen « , hatte sie genervt gesagt, als ich mich über diese allzu häufigen Kommunikations-Blackouts beschwert hatte, » mit dem hier stimmt was nicht « , aber obwohl ich sie ein paar Mal gebeten hatte, von der Straße weg mit mir in einen Apple-Store zu gehen und sich ein neues zu kaufen, hatte sie immer eine Ausrede parat: Die Schlange war zu lang, sie musste irgendwohin, sie hatte keine Lust, war hungrig, durstig, musste aufs Klo, konnten wir das nicht ein andermal machen?
Als ich mit geschlossenen Augen auf meiner Bettkante saß und mich ärgerte, weil ich sie nicht erreichen konnte (was ich anscheinend nie konnte, wenn es mal wirklich nötig war), überlegte ich, ob ich Forrest anrufen und ihm sagen sollte, ich sei krank. Aber so schlecht es mir auch ging, ich wollte sie doch sehen, und sei es nur am Tisch bei einem Essen mit Leuten, die ich nicht leiden konnte. Daher hatte ich– um mich aus dem Bett, nach Uptown und durch den tödlichsten Teil des Abends zu treiben– geschluckt, was in den alten Zeiten für mich eine milde Dosis von Opiaten gewesen wäre. Sie hatten die Kopfschmerzen zwar nicht vertrieben, mich aber in eine überraschend gute Stimmung versetzt. So wohl hatte ich mich seit Monaten nicht mehr gefühlt.
» Ihr geht heute Abend essen, du und Kitsey? « , fragte Mrs. Barbour und blätterte dabei immer noch glücklich in dem Katalog, den ich ihr mitgebracht hatte. » Bei Forrest Longstreet? «
» Ja. «
» Der war mit dir und Andy in einer Klasse, nicht wahr? «
» Ja, stimmt. «
»Aber er war nicht einer von den Jungen, die so schrecklich waren? «
» Na ja « , die Euphorie stimmte mich milde, » eigentlich nicht. « Forrest, ein begriffsstutziger Ochse ( » Sir, gehören Bäume zu den Pflanzen? « ), war nie intelligent genug gewesen, um mich und Andy auf halbwegs konzentrierte und erfindungsreiche Weise zu verfolgen. » Aber, ja, Sie haben schon recht, er gehörte zu dieser ganzen Gruppe, wissen Sie, mit Temple und Tharp und Cavanaugh und Scheffernan. «
» Ja. Temple. An den erinnere ich mich allerdings. Und an diesen Cable-Jungen. «
» Was? « Ich war ein bisschen überrascht.
» Aus dem ist jedenfalls nichts Gutes geworden « , sagte sie, ohne von ihrem Katalog aufzublicken. » Lebt auf Kredit… kann keinen Job behalten und hat wohl auch Schwierigkeiten mit der Polizei, wie ich höre. Hat ein paar Schecks gefälscht, und seine Mutter konnte nur mit Mühe verhindern, dass Leute ihn vor Gericht bringen. Und Win
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