Der Distelfink
den richtigen Papieren. «
VIII
In dem Parkhaus, in dem ein olivgrünes Licht deprimierend flimmerte, waren im Langzeit-Bereich trotz des leuchtenden BESETZT -Schildes ein paar freie Plätze. Als wir vorwärts in eine Lücke fuhren, warf ein Mann in einer Sportjacke, der an einem weißen Range Rover lehnte, seine Zigarette weg. Orangegelbe Funken sprühten, als er auf unseren Wagen zukam. Die hohe Stirn, die getönte Pilotenbrille und sein aufrechter, militärisch aussehender Oberkörper verliehen ihm das windgepeitschte Aussehen eines Ex-Fliegers, eines Mannes, der auf einem Testgelände irgendwo am Ural empfindliche Instrumente überwachte.
» Victor « , sagte er, als wir ausstiegen, und zerquetschte meine Hand. Juri und Boris bekamen einen Schlag auf den Rücken. Nach ein paar knappen Einleitungsworten auf Russisch kletterte ein lockiger Teenager mit einem Babygesicht vom Fahrersitz und wurde von Boris mit einem Wangentätscheln und einem munter gepfiffenen Liedchen begrüßt: On the Good Ship Lollipop.
» Das ist Shirley T « , sagte er zu mir und zerwuschelte dem Jungen die Korkenzieherlocken. » Shirley Temple. Wir nennen ihn alle so– warum? Kannst du raten? « Er lachte, als der Junge verlegen grinste und dabei tiefe Grübchen bekam.
» Lass dich nicht täuschen von Äußeren « , sagte Juri leise zu mir. » Shirley sieht aus wie Baby, aber hat Eier wie nur irgendeiner hier. «
Höflich nickte Shirley mir zu– sprach er Englisch? anscheinend nicht– und hielt uns die hintere Tür des Range Rovers auf. Wir drei– Boris, Juri und ich– stiegen ein, und Victor Cherry setzte sich nach vorn und redete über die Lehne hinweg mit uns.
» Dürfte kein Problem geben « , sagte er förmlich zu mir, als wir aus der Garage wieder auf den Overtoom hinausfuhren. » Einfaches Pfandgeschäft. « Aus der Nähe betrachtet wirkte sein Gesicht breit und verständnisvoll mit dem kleinen, spitzen Mund und einer sarkastischen Wachsamkeit, die meine Aufregung über die Vernunft dieses Abends– oder ihre Abwesenheit– ein wenig dämpfte: über Autowechsel, fehlende Anweisungen und Informationen, über albtraumhafte Fremdheit. » Wir tun Sascha einen Gefallen, und deshalb…? Er wird nett zu uns sein. «
Lang gestreckte, flache Gebäude. Vereinzelte Lichter. Ein Gefühl, als passierte das alles nicht– oder es passierte jemandem, der ich nicht war.
» Denn kann Sascha in eine Bank gehen und einen Kredit auf das Bild aufnehmen? « , erläuterte Victor pedantisch. » Nein. Kann Sascha in eine Pfandleihe gehen und einen Kredit auf das Bild bekommen? Nein. Kann Sascha angesichts der Umstände des Diebstahls eine seiner üblichen Connections über Horst benutzen und einen Kredit auf das Bild bekommen? Nein. Deshalb ist Sascha extrem erfreut über das Erscheinen des mysteriösen Amerikaners– sind Sie–, mit dem ich ihn zusammengebracht habe. «
» Sascha spritzt Heroin, wie du und ich atmen « , sagte Juri leise zu mir. » Hat er Geld in der Hand, zieht er los und kauft Riesenladung Drogen. Wie Uhrwerk. «
Victor Cherry rückte seine Brille zurecht. » Genau. Er ist kein Kunstliebhaber, und er ist nicht wählerisch. Er benutzt Bild wie hochverzinste Kreditkarte– oder glaubt er. Investment für Sie, Cash für ihn. Sie schießen das Geld vor– behalten das Bild als Sicherheit– er kauft Heroin, behält die Hälfte, streckt den Rest und verkauft ihn, und in einem Monat kommt er mit dem doppelten Geld zurück und holt das Bild wieder ab. Und wenn er in einem Monat nicht mit dem doppelten Geld zurückkommt? Das Bild gehört Ihnen. Wie ich sage. Einfaches Pfandgeschäft. «
» Nur nicht so einfach. « Boris streckte sich und gähnte. » Denn wenn du verschwindest? Und der Wechsel platzt? Was kann er tun?Rennt er zu Horst und ruft um Hilfe, bricht man ihm das Genick. «
» Ich bin froh, dass sie den Treffpunkt so oft geändert haben. Ist ein bisschen lächerlich. Aber es hilft, weil heute ist Freitag. « Victor nahm seine Fliegerbrille ab und polierte sie an seinem Hemd. » Ich hab sie denken lassen, Sie wollten aussteigen. Weil sie dauernd abgesagt und den Plan geändert haben– dabei sind Sie heute erst angekommen, aber das wissen die nicht. Weil sie immer wieder geändert haben, hab ich ihnen gesagt, das macht Sie nervös, und Sie hätten keine Lust mehr, auf einem Koffer voll Dollars in Amsterdam herumzusitzen und darauf zu warten, dass Sie was von denen hören. Sie hätten Ihr Geld wieder auf die Bank gebracht
Weitere Kostenlose Bücher