Der Distelfink
Sascha aus heiterem Himmel anrief und Horst bat, ihm zu helfen, es zurückzuholen. Reiner Zufall, dass Martin in der Stadt war. War über die Feiertage aus L. A. gekommen. Für Junkies ist Amsterdam ein ziemlich beliebtes Weihnachtsziel. Und, ja, was diesen Teil angeht « , er rieb sich ein Auge, » bin ich ziemlich sicher, dass Horst die Wahrheit sagt. Der Anruf von Sascha war wirklich eine Überraschung. Dass er sich Horst auslieferte. Keine Zeit, lange zu reden, musste schnell handeln. Woher sollte Horst wissen, dass wir es waren? Sascha war ja nicht mal in Amsterdam, er hörte das alles aus zweiter Hand, von seinem China Boy, dessen Deutsch nicht so toll ist. Und Horst erfuhr es aus dritter Hand. Wenn man es richtig betrachtet, passt alles zusammen. Andererseits… « Er zuckte die Achseln.
» Was? «
» Na ja– Horst wusste ganz sicher nicht, dass das Bild in Amsterdam war oder dass Sascha versuchte, es zu beleihen. Das hat er erst erfahren, als Sascha in Panik geriet und ihn anrief, nachdem wir es genommen hatten. Sicher? Ja, da bin ich sicher. Aber: Haben Horst und Sascha zusammengespielt, um das Bild überhaupt erst verschwinden zu lassen, nach Frankfurt, bei dem schlechten Miami-Deal? Möglich. Horst mochte das Bild sehr. Sehr. Hab ich erzählt? er wusste, was es war, gleich auf den ersten Blick? auswendig? Den Namen des Malers und alles? «
» Es ist eins der berühmtesten Bilder der Welt. «
» Schön. « Boris zuckte die Achseln. » Aber wie gesagt, er ist gebildet. Er ist aufgewachsen, umgeben von Schönheit. Andererseits, Horst weiß nicht, dass ich es war, der die Mappe zusammengebastelt hat. Sonst wäre er vielleicht nicht so glücklich. Aber « , er lachte laut, » wäre Horst je auf diese Idee verfallen? Das frage ich mich. Die ganze Zeit liegt da diese fette Belohnung! Griffbereit und völlig legal! Strahlend und unübersehbar, wie die Sonne! Ich weiß, dass ich nie daran gedacht habe. Erst jetzt. Glück und Freude auf der ganzen Welt! Verschwundene Meisterwerke wiedergefunden! Und Anton der große Held– posiert vor den Fotografen, gibt Interview auf Sky News! Standing Ovations auf der Pressekonferenz gestern Abend! Alle lieben ihn– wie den Piloten, der vor ein paar Jahren mit dem Flugzeug im Fluss gelandet ist und alle gerettet hat, erinnerst du dich? Aber wie ich es sehe, ist es nicht Anton, dem sie alle applaudieren. In Wirklichkeit bist du es. «
Ich hatte Boris so viel zu sagen, dass ich nichts davon sagen konnte. Trotzdem empfand ich nur eine ganz abstrakte Dankbarkeit. Vielleicht– ich griff in die Tasche, nahm ein Bündel Geld heraus und schaute es an–, vielleicht hatte Glück insofern etwas mit Pech gemeinsam, als es eine Weile dauerte, bis man begriff, dass man es gehabt hatte. Zu Anfang fühlte man gar nichts. Das Gefühl kam erst später.
» Ziemlich hübsch, nicht? « Boris war offenbar erleichtert, weil ich es mir überlegt hatte. » Du bist glücklich? «
» Boris, du musst die Hälfte davon behalten. «
» Glaub mir, ich habe für mich gesorgt. Ich habe so viel, dass ich eine Weile nichts zu tun brauche, wozu ich keine Lust habe. Wer weiß– vielleicht gehe ich ins Bar-Geschäft, in Stockholm. Vielleicht auch nicht. Ist bisschen langweilig. Aber du– das da gehört alles dir! Und kommt noch mehr. Weißt du noch, wie dein Dad jedem von uns die fünfhundert geschenkt hat? Himmelhoch jauchzend! Sehr nobel und großartig! Ja– für mich, damals? Die halbe Zeit hungrig? Traurig und einsam? Nichts in der Tasche? War es ein Vermögen! Mehr Geld, als ich jemals gesehen hatte! Und du « , seine Nase war jetzt rosarot, und ich dachte, er würde gleich niesen, » immer anständig und gut, hast du alles mit mir geteilt, was du hattest, und– was hab ich getan? «
» Ach, Boris, hör auf « , sagte ich voller Unbehagen.
» Habe ich dich bestohlen– das hab ich getan. « In seinen Augen glitzerte der Alkohol. » Hab dir deinen liebsten Besitz weggenommen. Und wie konnte ich dich so schlecht behandeln, wenn ich doch nur dein Bestes wollte? «
» Hör auf. Nein, wirklich– hör auf « , sagte ich, als ich sah, dass er weinte.
» Was kann ich sagen? Du hast mich gefragt, warum ich es genommen habe, und was kann ich darauf antworten? Nur, dass es– es ist nie so, wie es aussieht. Nur gut, nur böse. Wäre so viel einfacher, wenn es so wäre. Sogar dein Dad… hat er mir zu essen gegeben, mit mir gesprochen, Zeit mit mir verbracht, mich unter sein Dach aufgenommen, mir seine
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