Der Distelfink
ich war nicht hundertprozentig sicher, welches es war. Also bin ich ausgestiegen und zu Fuß gegangen. Obwohl ich Angst hatte, in dieser Straße zu sein– Angst, dass man mich sieht, steige ich aus und gehe zu Fuß. Auf meinen eigenen zwei Füßen. Augen halb geschlossen. Hab mich ein bisschen hypnotisiert, verstehst du, und versucht, mich an die Zahl der Schritte zu erinnern? Sie mit dem Körper zu fühlen? Jedenfalls– aber jetzt greife ich vor. Dima…? « Er tupfte gewissenhaft die Brotkrümel von der Tischdecke. » Die Schwägerin von Dimas Cousin– die Ex-Schwägerin, genau gesagt– ist mit einem Holländer verheiratet, und sie haben einen Sohn namens Anton– einundzwanzig, vielleicht zweiundzwanzig, quietschsauber, Nachname van den Brink– Anton ist niederländischer Staatsbürger und spricht von Kindheit an Holländisch, und das ist hilfreich für uns, wenn du verstehst. Anton « , er knabberte an einem Brötchen, verzog das Gesicht und spuckte ein Roggenkorn aus, das ihm zwischen die Zähne geraten war, » Anton arbeitet in einer Bar, in der viele reiche Leute verkehren, abseits der P.C. Hooftstraat, das ist der schicke Teil von Amsterdam: Gucci-Straße, Cartier-Straße. Ein guter Junge. Spricht Englisch, Holländisch, vielleicht noch zwei Worte Russisch. Jedenfalls, Dima ließ Anton bei der Polizei anrufen und melden, er habe zwei Deutsche gesehen, und auf einen passte die Beschreibung von Sascha– Oma-Brille, › Kleines Haus in der Prärie ‹ -Shirt, ein Tribal-Tattoo auf der Hand, das Anton genau nachzeichnen kann, weil wir ihm ein Foto gegeben haben–, jedenfalls ruft Anton die Kunstpolizei an und sagt denen, er hat diese Deutschen sternhagelvoll in seiner Bar gesehen. Sie hätten sich gestritten, und sie waren so wütend und aufgebracht, dass sie was dagelassen hätten– nämlich? Eine Mappe! Natürlich ist es eine manipulierte Mappe. Wir wollten es mit einem Telefon machen, mit einem manipulierten Telefon, aber keiner von uns kennt sich gut genug aus, um sicher zu sein, dass sie nicht auf uns kommen. Also hab ich ein paar Fotos gedruckt… das Foto, das ich dir gezeigt hab, plus ein paar andere, die ich zufällig auf dem Telefon hatte… den Finken mit einer relativ neuen Zeitung daneben, damit man das Datum sieht, weißt du. War ’ne zwei Jahre alte Zeitung, aber egal. Anton hätte diese Mappe ganz zufällig gefunden, verstehst du, unter einem Stuhl, mit ein paar anderen Dokumenten von der Sache in Miami, weißt du, für den Zusammenhang mit einer früheren Sichtung. Frankfurter Adresse praktischerweise gleich dabei und Saschas Name auch. Ist alles Myriams Idee, sie verdient Anerkennung, und du solltest ihr einen großen Drink spendieren, wenn du wieder zu Hause bist. Hat ein paar Sachen per FedEx aus Amerika geschickt– sehr, sehr überzeugend. Saschas Name ist dabei, da ist… «
» Sascha ist im Gefängnis? «
» Das ist er, ja. « Boris gackerte. » Wir kriegen Lösegeld, Museum kriegt Bild, Polizei kann den Fall abschließen, Versicherung kriegt Geld zurück, Öffentlichkeit ist erbaut– alle haben gewonnen. «
» Lösegeld? «
» Belohnung, Lösegeld, wie du willst. «
» Wer hat das Geld gezahlt? «
» Ich weiß es nicht. « Boris machte eine gereizte Handbewegung. » Museum, Staat, Privatmann. Ist das wichtig? «
» Für mich schon. «
» Na, sollte es nicht sein. Du solltest den Mund halten und dankbar sein. Denn « , er hob das Kinn und redete über mich hinweg, » weißt du was, Theo? Weißt du was? Rate mal! Rate, wie viel Glück wir haben! Die haben da drin nicht nur deinen Vogel, sondern– wer hätte das gedacht?– noch viele andere gestohlene Bilder! «
» Was? «
» Zwei Dutzend oder mehr! Manche davon seit vielen Jahren verschwunden! Und– nicht alle sind so hübsch oder schön wie deins. Genau gesagt, die meisten sind es nicht. Ist meine persönliche Meinung. Aber trotzdem sind hohe Belohnungen auf vier oder fünf davon ausgesetzt– höher als auf deins. Und selbst für die nicht so berühmten– ’ne tote Ente, ein langweiliges Bild mit einem fetten Mann, den keiner kennt–, selbst dafür gibt’s kleinere Belohnungen, fünfzigtausend hier, hunderttausend da. Wer hätte das gedacht? › Informationen, die zur Wiederbeschaffung führen. ‹ Da kommt was zusammen. Und ich hoffe « , sagte er einigermaßen streng, » du kannst mir deshalb vielleicht verzeihen. «
» Was? «
» Weil– sie sagen, es ist › eine der großen Kunstrettungen der Geschichte
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