Der Doge, sein Henker und Ich
oder Tausende von Gefangenen und siechten dahin. Andere wurden geköpft. Turrio, sein Henker, hatte Hochbetrieb. Die Hinrichtungen fanden öffentlich statt. Einmal in der Woche trat Turrio in Aktion. Oftmals starben mehr als zehn Menschen an einem Tag. Cabrisi schaute dabei zu. Er freute sich jedesmal wie ein kleines Kind. Normal konnte dieser Mann nicht sein. Man sprach davon, daß er mit dem Teufel im Bunde stecken würde. Das meinte auch die offizielle Kirche. Von ihr ging der Widerstand aus. Als der Doge auch kirchliche Würdenträger hinrichten und ein Kloster abbrennen ließ, war das Faß übergelaufen. Die Kirche antwortete mit einem amtlich bestellten Exorzisten.«
»Deshalb haben Sie uns auch dafür gehalten«, sagte ich.
»Schon möglich. Der Exorzist tat seine Pflicht. Zusammen mit einigen ausgesuchten Soldaten drang er in einer düsteren Nacht in die Gemächer des Dogen ein. Sie konnten die Wachen überwältigen und sich mit Cabrisi beschäftigen. Als dieser das geweihte Kreuz sah, begann er fürchterlich zu schreien und zu toben. Sie haben ihn dann gefesselt und selbst in die Bleikammern geschleift, wo er bei lebendigem Leibe verhungern mußte. Er lag nicht mit den anderen zusammen, sondern kam in einen gesonderten Raum.«
»Was war mit seinem Henker?« fragte Jane.
»Den fingen sie auch ein. Er hat sich gewehrt, aber die Männer waren stärker. Sie zeichneten ihn und schleiften ihn fast schon sterbend zu dem Dogen in das Verlies.«
»Wissen Sie auch, was dieses goldene Schimmern möglicherweise auf sich hat?«
»Ja, Mr. Sinclair. Giancarlo Cabrisi trug stets eine goldene Maske vor seinem Gesicht.«
»Weshalb?«
»Da gab es Gerüchte. Angeblich bestand sein Gesicht nur aus blutigen Klumpen. Das Schwert eines Türken sollte ihn gezeichnet haben. Sein halbes Gesicht war zerschlagen oder abgehauen worden. Die Legende sagt auch, daß die Türken Salzlake in die Wunde gegossen haben, um eine Heilung unmöglich zu machen. Aber sie unterschätzten Cabrisi. Er erholte sich wieder, wurde von seinen Leuten befreit und räumte unter den Türken gnadenlos auf.«
»Das ist also die Geschichte«, stellte ich fest.
»Ja, mehr weiß ich nicht.«
Ich schaute hoch zu den Hausdächern an der anderen Uferseite. Die Abenddämmerung hatte eingesetzt. Noch einmal war die Sonne hervorgekommen, als wollte sie den Venezianern einen Abschiedsgruß senden. Wir sahen sie nicht, aber letzte Strahlen streiften manche Hausdächer und gaben ihnen ein fast kostbares Aussehen.
»Jetzt wissen Sie alles, Mr. Sinclair. Nur werden Sie damit kaum etwas anfangen können.«
»Das ist nicht gesagt.«
»Was haben Sie denn vor?«
»Wir werden den Dogen und seinen Henker jagen.«
»Wie?«
»Beide sind aus dem Wasser gekommen. Ich aber werde ins Wasser gehen. Ich denke daran, daß es eine Verbindung zum Palast des Dogen und damit auch zu den Bleikammern geben muß. Und zwar eine Unterwasser-Verbindung, wenn ich das recht sehe.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ist das nicht zu weit hergeholt?«
»Ich kann mich natürlich auch irren. Aber ich glaube nicht daran. Man hat beide in die Bleikammern eingeschlossen. Nicht dort, wo die anderen Gefangenen lagen, sondern in einem Extraraum. Und den will ich finden, weil ich glaube, daß es ihr gemeinsamer Stützpunkt ist.«
»Wissen Sie, wie weit der Palast entfernt ist?«
»Ich suche unter Wasser nach Abkürzungen.«
»Irrtum, John«, meldete sich Jane. »Wir werden nach Abkürzungen suchen. Ich bin dabei. Schließlich haben wir zwei Taucherausrüstungen mitgenommen.«
»Jetzt nicht mehr.«
Sie funkelte mich an. »Wieso nicht?«
»Du wirst dich um Frau Gehrmann kümmern. Setz dich mit Kommissar Torri in Verbindung. Ich möchte, daß Frau Gehrmann sicher untergebracht wird. Anschließend wirst du dem Dogenpalast einen Besuch abstatten, aber auf die normale Art und Weise. Wir beide werden uns sicherlich dort treffen.«
Jane lachte auf. »Bei der Größe — unmöglich.«
Auch da war mir schon etwas eingefallen. »Soviel ich weiß, besitzt er einen großen Innenhof. Dort wartest du auf mich. Ich bin fest davon überzeugt, es zu schaffen.«
»Ich aber nicht.«
»Jane, tu mir den Gefallen. Auch Torri muß Bescheid wissen. Sag ihm alles.«
Die Detektivin überlegte, nickte, schüttelte den Kopf und nickte wieder.
»Ich werde mich nicht gegen deinen verrückten Plan stellen, John. Überzeugt bin ich davon nicht.«
»Das kann ich dir nicht einmal verdenken, auch bei mir bleibt ein gewisses
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