Der Doge, sein Henker und Ich
du?«
»Das kann ich mir vorstellen.«
»Versteckt habe ich mich.«
Ich lockerte meinen Griff. »Und dann?«
»Gar nichts mehr.«
»Du willst mir doch nicht erzählen, daß du die beiden nicht beobachtet hast. Diebe sind neugierig. Wenn du mir keine Antwort gibst, werfe ich das ganze Zeug ins Wasser.«
»Das kannst du nicht…«
»Und ob ich das kann.« Ich hatte bereits meine Linke in das Sackleinen gekrallt.
»Also gut«, stöhnte er. »Ich habe die beiden gesehen, und ich konnte sie auch beobachten. Sie stiegen wieder in das Wasser.«
»Wo?«
»Hier.« Er atmete mich pfeifend an. »Oder sehen Sie ein anderes?«
»Wenn du frech wirst, kannst du auch die Brühe schlucken!« fuhr ich ihn an.
»Es war doch nicht anders. Sie stiegen ein und sind wieder verschwunden.«
»Du hast ihren Weg verfolgt?«
»Ich sah das Schimmern. Sie schwammen auf die Mauer zu, verstehen Sie, auf die Mauer.« Er deutete an mir vorbei. »Nicht in die offene Seite. Mehr weiß ich nicht.«
»Gibt es in der Mauer einen Durchbruch?«
»Kann ich nicht sagen, wirklich nicht. Ich tauche nie, das ist mir zu dreckig.«
Er lamentierte noch weiter. Ich hörte nicht hin, weil ich erfahren hatte, was ich wollte. Der Dieb schaute mir aus seinen Glotzaugen zu, wie ich mich erhob, die Taucherbrille vor die Augen schob und das Mundstück zwischen die Lippen nahm.
Er ließ mich laufen, ich ihn. Mit einer Rolle vorwärts verschwand ich wieder in der dreckigen Brühe und spürte die Kälte abermals wie eine Klammer, die meinen Brustkasten zusammenpreßte.
Das ging schnell vorbei. Ich bewegte mich diesmal schneller und mit kräftigen Bewegungen voran. Gegen eine Strömung hatte ich nicht zu kämpfen, nur die Mauer hinderte mich an einem Weiterschwimmen. Ich hatte sie in dieser fast absoluten Finsternis nicht erkennen können. Erst als ich mit der rechten Schulter dagegenprallte, wußte ich, daß ich mein Ziel erreicht hatte.
Durch eine kompakte Mauer hatten die beiden Geschöpfe bestimmt nicht gehen können. Es mußte eine Öffnung geben!
Dicht über dem Grund tastete ich die Mauer ab und fand rasch die Öffnung. Das halbrunde Loch besaß eckige Innenränder, wo die Steine wie die Teile eines Puzzles vorstanden.
Ich mußte mich hindurchquälen und gelangte tatsächlich in eine Röhre, die so eng war, daß ich nicht mehr umkehren konnte und mich durch das Fließwasser ins Ungewisse treiben ließ.
Diese Fahrt wurde zu einem Alptraum. Ich durfte nicht daran denken, was alles passieren konnte. Unter großer Willensanstrengung zwang ich mich zu einer ruhigen Atmung und starrte durch die Brille in die drückende Schwärze.
Manchmal schrammte ich mit den Preßluftflaschen an der Röhre entlang, dann wieder wurde ich gedreht und mußte die Hände gespreizt und schützend vor mein Gesicht halten, um nicht gegen die obere Seite der Röhre zu stoßen.
Das Wasser riß mich mit. Manchmal steigerte ich durch Streck-und Kraulbewegungen die Geschwindigkeit noch. Ich wußte nicht, wie weit ich mich noch unter diesen Umständen bewegte. Wenn das Ziel der Dogenpalast war, dann hatte ich noch eine gewisse Strecke zurückzulegen.
Die Zeit war für mich nicht mehr existent. Ob Minuten, halbe Stunden oder mehr verrannen, konnte ich nicht mehr nachhalten. Ich steckte in dieser verfluchten Röhre und war der Strömung ausgeliefert. Wann spie sie mich aus? Und wohin würde sie mich speien? Vielleicht hinein in die Reste der Bleikammern, in denen schon so viele Menschen gestorben waren?
In mir tobten Ängste, aber auch Hoffnungen. Irgendwo mußte es ein Ende geben.
Und es kam.
Sogar so plötzlich, daß ich davon überrascht wurde. Die Wucht des Wassers kippte mich nach vorn. Ich streckte noch die Arme aus, bekam aber keinen Halt mehr und fiel - eingehüllt in Wasserschleier und Kaskaden — in einem Bogen in die Tiefe. Ein klatschender Aufschlag. Dazu der harte Druck, der meinen Körper durchschüttelte, da ich mit dem Bauch zuerst aufgeschlagen war und mich plötzlich in dem Strudel bewegte, der mich einfach mit sich riß. Ich wußte nicht mehr, wo oben oder unten war. Etwas schlug gegen meinen Schädel, und irgendwann war alles vorbei.
Wie ein Korken trieb ich hoch, durchbrach eine Wasserfläche, löste das Mundstück, schob wieder die Brille hoch und konnte tief durchatmen. Eine feuchte und auch kalte Luft drang in meine Lungen. Sie besaß einen eigenartigen Geschmack und klebte auf der Zunge. Ich hatte den Eindruck, über Metall geleckt zu haben. Über
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