Der Doktor und das liebe Vieh
stehen und lauschte. Der Hund heulte immer noch.
Die Versammlung war ein Erfolg. Sie fand in einem Luxushotel statt, und wie meistens war das anschließende gesellige Beisammensein der Tierärzte das Beste vom Abend. Es war ungemein beruhigend, von den Problemen und Fehlern der Kollegen zu hören – besonders von den Fehlern.
Gegen elf Uhr brachen wir auf. Ich dachte schuldbewußt daran, daß ich Tristan und seine Nachtwache in den letzten paar Stunden völlig vergessen hatte. Aber gewiß hatte er an diesem Abend keine Schwierigkeiten gehabt. Der Hund war sicherlich ruhiger geworden. Doch als ich in Darrowby aus dem Auto sprang, erstarrte ich, denn aus dem Haus drang ein schwaches Jaulen. Unglaublich, der Hund heulte noch immer. Und was war mit Tristan? Ich wagte mir nicht vorzustellen, in welcher Verfassung er war. Beinahe ängstlich öffnete ich die Wohnzimmertür.
Tristans Sessel bildete eine kleine Insel in einem Meer von leeren Bierflaschen. Eine hochkant gestellte Kiste lehnte an der Wand, und Tristan saß mit feierlicher Miene sehr aufrecht da. Ich stieg über die Flaschen hinweg.
»Nun, war es sehr schlimm, Triss? Wie fühlen Sie sich?«
»Könnte schlimmer sein, mein Lieber, viel schlimmer. Bald nachdem ihr abgefahren wart, bin ich zu den Drowers gegangen und habe ’nen Kasten Bier geholt. Das half mir über das Schlimmste hinweg. Nach drei oder vier Stunden ließ mich der Hund völlig kalt – ich habe sogar mitgejault. Wir hatten einen recht interessanten Abend. Übrigens kommt er jetzt zu sich. Schauen Sie mal.«
Der Hund hatte den Kopf gehoben, und in seinen Augen lag ein Ausdruck des Wiedererkennens. Das Geheul war verstummt. Ich ging zu ihm und streichelte ihn, und das Tier wedelte mit dem buschigen schwarzen Schwanz.
»So ist’s schon besser, alter Junge«, sagte ich. »Und jetzt solltest du dich ein bißchen zusammennehmen. Du hast dem armen Onkel Tristan ganz schön zugesetzt.«
Der Hund reagierte sofort. Er richtete sich mühsam auf und machte ein paar schwankende Schritte. Dann brach er zwischen den Flaschen zusammen.
Siegfried erschien in der Türöffnung und blickte angewidert auf Tristan, der noch immer sehr gerade dasaß. Dann betrachtete er den Hund zwischen den Flaschen. »Was ist denn das für ein Tohuwabohu? Kannst du nicht auf den Hund aufpassen, ohne eine Orgie zu veranstalten?«
Beim Klang von Siegfrieds Stimme richtete sich der Neufundländer auf und versuchte in einem Anflug von Selbstvertrauen mit wedelndem Schwanz zu ihm zu laufen. Aber er kam nicht weit. Nach wenigen Schritten sackte er wieder zusammen und stieß dabei eine leere Flasche um, die langsam bis vor Siegfrieds Füße rollte.
Siegfried bückte sich und streichelte den glänzenden schwarzen Kopf. »So ein liebes, freundliches Tier. Bestimmt ist er ein großartiger Hund, wenn er seine fünf Sinne beisammen hat. Morgen früh wird er wieder ganz normal sein, die Frage ist nur, was wir heute nacht mit ihm machen. Wir können ihn nicht hier unten herumtorkeln lassen, sonst bricht er sich womöglich ein Bein.« Er blickte Tristan an, der jetzt noch steifer, noch aufrechter dasaß. »Weißt du, am besten nimmst du ihn mit in dein Zimmer. Jetzt, wo er glücklich über den Berg ist, wollen wir doch nicht, daß er sich verletzt. Ja, er soll die Nacht bei dir verbringen.«
»Vielen Dank, vielen herzlichen Dank«, sagte Tristan tonlos, die Augen starr geradeaus gerichtet.
Siegfried warf ihm einen scharfen Blick zu und wandte sich zum Gehen. »Also gut, räume den Kram hier weg, und dann ab ins Bett.«
Tristan und ich schliefen Tür an Tür. Mein Zimmer war der Hauptraum, riesengroß, quadratisch, mit hoher Decke und einem von Pfeilern flankierten Kamin. Tristans Zimmer, der ehemalige Ankleideraum, war lang und nicht sehr breit, so daß man das schmale Bett an die hintere Querwand hatte quetschen müssen. Auf den glatten, gebohnerten Dielen lag kein Teppich. Ich legte den Hund auf einen Stapel Decken und wandte mich Tristan zu, der sich erschöpft auf sein Bett geworfen hatte.
»Er ist ganz ruhig – schläft wie ein Baby«, sagte ich tröstend. »Ich denke, Sie werden jetzt Ihre wohlverdiente Ruhe haben.«
In meinem Zimmer zog ich mich rasch aus und stieg ins Bett. Ich schlief sofort ein. Wann der Lärm wieder anfing, kann ich nicht sagen, ich weiß nur, daß ich plötzlich hochfuhr, weil ein wütender Schrei in meinen Ohren gellte. Dann hörte ich ein Rutschen, einen dumpfen Schlag und noch einen Schrei aus
Weitere Kostenlose Bücher