Der Doktor und das liebe Vieh
Tristans Kehle.
Ich schrak vor dem Gedanken zurück, nach nebenan zu gehen – tun konnte ich sowieso nichts –, also kuschelte ich mich in die Decken und lauschte. Nach einer Weile döste ich ein, wurde aber jäh aus dem Schlaf gerissen, als weitere Schlaggeräusche und Schreie durch die Wand drangen.
Nach etwa zwei Stunden änderten sich die Laute. Der Neufundländer schien seine Beine wieder gebrauchen zu können, denn er wanderte im Zimmer auf und ab, wobei seine Pfoten ein regelmäßiges Tack-a-tack auf dem Holzfußboden machten. Das ging unentwegt so weiter, und von Zeit zu Zeit brüllte Tristan, der schon stockheiser war: »Hör auf, zum Donnerwetter! Setz dich, verdammter Köter!«
Ich mußte wohl trotzdem fest eingeschlafen sein, denn als ich aufwachte, füllte graues Morgenlicht das Zimmer. Ich wälzte mich auf den Rücken und lauschte. Das Tack-a-tack der Pfoten war noch immer zu hören, aber ganz unregelmäßig, als liefe der Neufundländer bald hierhin, bald dorthin, statt blindlings von einem Ende des Zimmers zum anderen zu stolpern.
Ich stand auf. Zitternd in der eiskalten Luft zog ich mein Hemd und die Hose an. Dann schlich ich zu der Verbindungstür und öffnete sie. Ich wurde fast umgeworfen, als sich zwei große Pfoten gegen meine Brust drückten. Der Neufundländer war hocherfreut, mich zu sehen, und schien sich hier schon ganz heimisch zu fühlen. Er wedelte ekstatisch mit dem Schwanz.
»Na, bist du wieder in Ordnung, Freundchen?« sagte ich. »Komm, zeig mal deine Wunde.« Ich untersuchte die Naht über den Rippen. Keine Schwellung und nicht einmal schmerzempfindlich.
»Wunderbar!« rief ich. »Du bist ja so gut wie neu.« Ich gab ihm einen scherzhaften Klaps, der einen Begeisterungsausbruch hervorrief. Das Tier sprang an mir hoch, umarmte und leckte mich.
Ich versuchte ihn abzuwehren, als ich ein jämmerliches Stöhnen aus dem Bett hörte. In dem trüben Licht sah Tristan gespenstisch aus. Er lag auf dem Rücken, hatte beide Hände in die Bettdecke gekrallt, und seine Augen leuchteten wild. »Nicht eine Minute Schlaf, Jim«, flüsterte er. »Nicht eine einzige Minute. Hat einen herrlichen Humor, mein Bruder, läßt mich die ganze Nacht bei diesem schwarzen Satan. Beobachten Sie ihn nachher – ich gehe jede Wette ein, daß er zufrieden aussehen wird.«
Beim Frühstück ließ sich Siegfried die Einzelheiten von Tristans qualvoller Nacht erzählen und war sehr mitfühlend. Wortreich entschuldigte er sich für all die Aufregung, die der Hund dem Bruder bereitet hatte. Aber wie Tristan es vorausgesagt hatte: Er sah zufrieden aus.
Kapitel 13
Ich entdeckte plötzlich, daß der Frühling gekommen war. Ende März, als ich ein paar Schafe in einer Bergmulde untersucht hatte, lehnte ich mich beim Abstieg im Windschatten eines kleinen Tannenwaldes gegen einen Baum, um kurz zu verschnaufen, und auf einmal spürte ich die Wärme des Sonnenlichts auf meinen geschlossenen Augenlidern, hörte den Gesang der Lerchen und das gedämpfte Rauschen des Windes in den hohen Zweigen. Obwohl der Schnee noch immer in langen Streifen hinter den Mauern lag und das Gras leblos und winterlich gelb war, schien mir, daß sich eine Veränderung vollzogen hatte, eine Befreiung, denn ohne es zu wissen, hatte ich mich mit einem Panzer gegen die harten Monate, die unerbittliche Kälte umgeben.
Es war kein warmer Frühling. Ein scharfer Wind ließ die weißen Köpfe der Schneeglöckchen erzittern und knickte die Narzissen auf dem Dorfanger. Im April leuchteten die Straßenböschungen vom frischen Gelb der Primeln. Und im April kamen auch die jungen Lämmer zur Welt. Diese Geburten brachen wie eine große Flutwelle über uns herein, immer dann, wenn wir am meisten zu tun hatten.
Im Frühjahr spürte das Vieh die Auswirkungen des langen Winters. Die Kühe standen seit Monaten im Stall und brauchten dringend grünes Gras und Sonnenschein; die Kälber hatten zuwenig Widerstandskraft gegen Krankheiten. Und gerade wenn wir uns fragten, wie wir mit den Erkältungen, Lungenentzündungen und Azetonämien fertig werden sollten, überflutete uns die Welle der neugeborenen Lämmer, und in den folgenden zwei Monaten verdrängten diese wolligen kleinen Dinger nahezu alles andere.
Da waren zunächst die Früherkrankungen der Mutterschafe, die Blutvergiftungen während der Trächtigkeit und die Vorfallserscheinungen. Dann kam die Geburtenwelle, deren Folge oft Kalzium-Mangelerscheinungen waren oder die fürchterliche brandige
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