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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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und regelmäßig, die Schleimhäute hatten eine gute Farbe. Das Tier lag noch immer regungslos ausgestreckt, und das einzige Anzeichen des zurückkehrenden Bewußtseins war das Heulen, das sich alle zehn Sekunden wiederholte.
    »Ja, er ist völlig in Ordnung«, sagte Siegfried. »Aber was für ein gräßliches Geräusch! Kommt bloß hier raus.«
    Die Mahlzeit wurde hastig und schweigend beendet, man hörte nur das Jammern im Hintergrund. Siegfried hatte kaum den letzten Bissen hinuntergeschlungen, da war er schon auf den Beinen. »Ich muß abschwirren. Habe ’ne Menge zu tun heute nachmittag. Tristan, das Beste ist wohl, wenn du den Hund ins Wohnzimmer bringst und vor den Kamin legst. Auf diese Weise kannst du ihn im Auge behalten.«
    Tristan starrte seinen Bruder entgeistert an. »Du meinst, ich soll mir den ganzen Nachmittag dieses Geheul anhören?«
    »Ja, genau das meine ich. Wir können ihn in diesem Zustand nicht nach Hause schicken, und ich möchte nicht, daß ihm etwas passiert. Er braucht Pflege und Beaufsichtigung.«
    »Soll ich vielleicht seine Pfote halten oder ihn im Kinderwagen um den Marktplatz herumschieben?«
    »Verschone mich mit deinen Unverschämtheiten. Du bleibst bei dem Hund, und damit basta!«
    Tristan und ich zogen das schwere Tier auf den Decken den Korridor entlang; dann mußte ich zu meiner nachmittäglichen Runde aufbrechen. An der Tür blieb ich stehen und blickte zurück auf das große schwarze Tier neben dem Feuer und auf Tristan, der unglücklich in einem Sessel hockte. Das Geheul war fürchterlich. Ich schloß hastig die Tür.
    Es war dunkel, als ich zurückkam, und das alte Haus ragte schwarz und schweigend in den kalten Himmel. Schweigend – das heißt mit Ausnahme des Geheuls, das gespenstisch in der menschenleeren Straße widerhallte.
    Ich sah auf meine Uhr. Es war sechs, also hatte Tristan diese Tortur vier Stunden über sich ergehen lassen. Ich eilte die Stufen hinauf und durch den Korridor. Als ich die Wohnzimmertür öffnete, stand Tristan mit dem Rücken zu mir an dem französischen Fenster und blickte in den dunklen Garten hinaus. Er hatte die Hände tief in die Taschen gesteckt, und aus seinen Ohren hingen Wattebüschel.
    »Na, wie sieht’s aus?« fragte ich.
    Da keine Antwort kam, ging ich zu ihm und berührte ihn an der Schulter. Die Wirkung war ungeheuerlich. Er sprang in die Luft und fuhr herum. Sein Gesicht war aschfahl, und er zitterte heftig. »Mein Gott, Jim, Sie hätten mich beinahe getötet. Ich kann durch diese Ohrpfropfen nichts hören – bis auf den Hund natürlich.«
    Ich kniete mich hin und untersuchte den Neufundländer. Sein Zustand war ausgezeichnet, aber außer einem schwachen Augenreflex deutete nichts auf eine Wiederkehr des Bewußtseins hin. Das durchdringende Heulen ertönte nach wie vor in regelmäßigen Abständen.
    »Er braucht aber entsetzlich lange, um zu sich zu kommen«, sagte ich. »War er den ganzen Nachmittag so?«
    »Ja, genauso. Verschwenden Sie bloß kein Mitleid an diesen jaulenden Teufel – er weiß ja nichts davon. Aber sehen Sie mich an! Ich bin nach all den Stunden völlig mit den Nerven herunter. Noch ein bißchen länger, und Sie müssen auch mir eine Spritze geben.« Er fuhr sich mit zitternder Hand durch das Haar, und in seiner rechten Wange zuckte unaufhörlich ein Muskel.
    Ich nahm ihn am Arm. »Essen Sie erst mal was, dann werden Sie sich gleich besser fühlen.« Er folgte mir widerstandslos ins Eßzimmer.
    Während der Mahlzeit war Siegfried in ausgezeichneter Stimmung. Er lachte, scherzte und führte das große Wort, ohne das schrille Geheul im Nebenzimmer zu beachten. Um so heftiger zerrte es zweifellos an Tristans Nerven.
    Als wir das Zimmer verließen, legte mir Siegfried die Hand auf die Schulter. »Vergessen Sie nicht die Versammlung heute abend in Brawton, James. Der alte Reeves spricht über Schafskrankheiten – er macht so was immer sehr gut. Schade, daß du nicht mitkommen kannst, Tristan, aber ich fürchte, du mußt bei dem Hund bleiben, bis er zu sich kommt.«
    Tristan zuckte zusammen, als hätte ihn jemand geschlagen. »O nein, bitte nicht! Das verdammte Biest treibt mich zum Wahnsinn!«
    »Leider geht es nicht anders. James oder ich hätten dich heute abend ablösen können, aber wir müssen nun mal zu dieser Versammlung. Es würde einen schlechten Eindruck machen, wenn wir nicht kämen.«
    Tristan wankte ins Wohnzimmer zurück, und ich zog meinen Mantel an. Auf der Straße blieb ich einen Augenblick

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