Der Doktor und das liebe Vieh
Mastitis, bei der das Euter schwarz wird und Schrunden bildet. Und dann die Krankheiten der Lämmer. Allmählich ebbte die Flut ab, und Ende Mai war sie praktisch versiegt. Die Schafe wurden wieder zu den wolligen kleinen Dingern auf den Berghängen.
In diesem ersten Jahr war ich fasziniert von den Lämmergeburten, und so ist es seither geblieben. Das Lammen erschien mir ebenso erregend wie das Kalben und obendrein längst nicht so mühsam für den Geburtshelfer, weil die Schafe meist im Freien warfen, entweder in zugigen Verschlagen, die man aus Strohballen und Gattern improvisiert hatte, oder, häufiger noch, draußen auf dem Feld. Es kam den Bauern nicht in den Sinn, daß das Schaf seine Jungen lieber im warmen Stall zur Welt gebracht hätte oder daß der Tierarzt nicht gerade begeistert war, wenn er stundenlang in Hemdsärmeln im strömenden Regen hocken mußte.
Die eigentliche Arbeit war dagegen die einfachste Sache von der Welt. Nach meinen Erlebnissen bei der Korrektur von Fehllagen bei Kälbern machte es geradezu Spaß, den winzigen Geschöpfen auf die Welt zu helfen. Lämmer werden meistens zu zweit oder zu dritt geboren, und dabei kommt es mitunter zu einem großen Durcheinander. Ein Knäuel von Köpfen und Beinen will gleichzeitig heraus, und es ist Aufgabe des Tierarztes, die einzelnen Körperteile zu sortieren und festzustellen, welches Bein zu welchem Kopf gehört. Ich genoß es sehr, endlich einmal stärker und größer zu sein als der Patient, doch ich habe über diesem Vorteil nie vergessen, daß beim Lammen zwei Dinge sehr wichtig sind – Sauberkeit und Sanftheit.
Alle Jungtiere sind niedlich, aber das Lamm besitzt einen besonderen Charme. Ich erinnere mich an einen bitterkalten Abend, als ich auf einem windumbrausten Berghang ein Mutterschaf von Zwillingen entband. Die Lämmer schüttelten krampfhaft die Köpfe, und schon nach wenigen Minuten richtete sich eines der beiden auf und lief wackelig und x-beinig zum Euter der Mutter, während das andere auf den Knien hinterherkroch.
Der Schäfer, dessen rotes, wettergegerbtes Gesicht fast in dem hochgeschlagenen Kragen seines schweren Mantels verschwand, ließ ein kurzes Lachen hören. »Zum Teufel, woher wissen sie das nur?«
Er hatte es tausendmal miterlebt und empfand es immer wieder als Wunder. Mir geht es genauso.
Und dann erinnere ich mich an zweihundert Lämmer in einer Scheune an einem warmen Nachmittag. Wir impften sie gegen Nierenerkrankungen, und der schrille Protest der Jungtiere, vermischt mit dem unablässigen tiefen Bä-ä-ä von nahezu hundert Mutterschafen, die draußen unruhig umherliefen, machte jede Unterhaltung unmöglich. Ich fragte mich, ob diese Schafe imstande wären, ihre eigenen Kinder in der Masse der nahezu gleich aussehenden kleinen Geschöpfe aufzuspüren. Zumindest würde es eine Ewigkeit dauern.
Es dauerte ungefähr fünfundzwanzig Sekunden. Als wir mit dem Impfen fertig waren, öffneten wir die Scheunentore, und die herausströmenden Lämmer wurden stürmisch von ihren besorgten Müttern empfangen. Zunächst war der Lärm ohrenbetäubend, aber er ebbte bald ab, und als das letzte verirrte Lamm in Sicherheit war, hörte man nur noch gelegentliches Blöken. Dann, immer hübsch zu zweien, zog die Herde aufs Feld.
Den ganzen Mai herum wurde die Welt um mich herum zunehmend milder und wärmer. Der kalte Wind legte sich, und in der Luft, die frisch wie die See war, hing der zarte Dufthauch unzähliger Feldblumen. Manchmal empfand ich es geradezu als ungerecht, daß ich für meine Arbeit bezahlt wurde, besonders wenn ich frühmorgens hinausfuhr und die Felder in dem fahlen Sonnenlicht glänzten, während die hohen Berggipfel noch von Nebelschwaden umhüllt waren.
In Skeldale House brachte die Glyzinie eine verschwenderische Fülle malvenfarbener Blüten hervor, die sich durch die offenen Fenster drängten. Allmorgendlich atmete ich beim Rasieren den berauschenden Duft der langen Blütentrauben ein.
Das Leben war idyllisch, und es gab nur einen einzigen Mißton: die Pferde. In den dreißiger Jahren waren noch viele Pferde auf den Bauernhöfen, obwohl die Traktoren sie bereits zu verdrängen begannen. Auf den Höfen am Fuß des Dale, wo es ziemlich viel Ackerland gab, waren die Ställe halb leer, aber immerhin reichte die Anzahl der Pferde aus, den Mai und den Juni für uns recht beschwerlich zu machen. Sobald das Wetter wärmer wurde, kamen nämlich die Bauern und wollten ihre einjährigen Fohlen kastrieren
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