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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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lassen.
    Ich mochte diese Arbeit nicht, und da bis zu hundert Fälle erledigt werden mußten, warf sie einen Schatten über diese schönste Zeit des Jahres. Seit Generationen war man bei der Kastration so vorgegangen, daß man das Fohlen zu Boden warf und ihm dann die Beine zusammenband. Es war ein bißchen mühsam, aber das Tier war unfähig, sich zu bewegen, und so konnte man völlig konzentriert arbeiten. Zu der Zeit aber, als ich das Examen machte, kam die Kastration im Stehen auf. Bei dieser Methode brauchte man nur eine Lippenbremse einzusetzen und den Hoden örtlich zu betäuben. Dann konnte man frisch drauflos arbeiten. Zweifellos ging das schneller, aber nur, wenn alles programmgemäß verlief. Manchmal schlug das Fohlen aus oder warf sich auf uns oder wurde einfach wild. Es war immer ein Risiko. Ich weiß nicht, ob andere Tierärzte sich fürchteten, ich weiß nur, daß ich immer ungeheuer nervös war, wenn ich eine Kastration vornehmen mußte.
    Natürlich lag es zum Teil daran, daß ich kein Reiter war und auch nie einer sein werde. Meiner Meinung nach muß man entweder als Reiter geboren werden oder die Kunst in früher Jugend erlernen. Ich wußte, es hatte keinen Sinn, mit fünfundzwanzig Jahren anzufangen. Ich kannte mich zwar in Pferdekrankheiten aus, ich traute mir auch zu, kranke Pferde wirksam zu behandeln, aber ich besaß nicht die Fähigkeit, die der echte Reiter besitzt, nämlich ein Tier zu beruhigen, zu besänftigen und geistig zu beherrschen.
    So war an solchen Morgen meine Stimmung nicht gerade die beste. Würde das Tier wild oder ruhig sein? Und wie groß? Ich hatte von Kollegen gehört, daß sie große Pferde vorzögen, weil die Zweijährigen leichter zu handhaben wären – man bekäme die Hoden besser zu fassen. Aber mir waren kleine Tiere sehr viel lieber – je kleiner, desto besser.
    Eines Morgens, als die Saison auf ihrem Höhepunkt war und ich schon kein Pferd mehr sehen konnte, rief Siegfried mich zu sich. »James, der Bauer Wilkinson in White Cross hat ein Pferd mit einer Geschwulst am Bauch. Fahren Sie hin und erledigen Sie das. Möglichst noch heute. Wenn Sie’s nicht mehr schaffen, bestimmen Sie selbst den Zeitpunkt, ich überlasse es Ihnen.«
    Ein wenig mißgestimmt, weil das Schicksal mir zu all der vielen Arbeit auch noch diese aufhalste, kochte ich Skalpell, Tumorlöffel und Spritze aus und legte die Instrumente zusammen mit einem Lokalanästhetikum, Jod und einem antitoxischen Serum auf mein Tablett.
    Ich fuhr los, und das Tablett auf dem Rücksitz klapperte unheilverkündend. Ich fragte mich, was für ein Pferd ich wohl vorfinden würde – vielleicht war es nur ein Jährling. Bei Jährlingen bildeten sich manchmal kleine Geschwülste. Während der sechs Meilen langen Fahrt gaukelte mir meine Phantasie ein sanftäugiges, kleines Fohlen mit Hängebauch und üppiger Mähne vor; es war ihm nicht gutgegangen im Winter, und wahrscheinlich hatte es Würmer – war vor Schwäche wackelig auf den Beinen.
    Bei Wilkinson war alles still. Kein Mensch auf dem Hof – mit Ausnahme eines zehnjährigen Jungen, der nicht wußte, wo der Bauer war.
    »Und wo ist das Pferd?«
    Der Junge zeigte auf den Stall. »Da drinnen.«
    Ich ging hinein. Aus einer hohen, oben offenen Box, deren Holzwände mit einem Eisengitter umzäunt waren, drang wütendes Wiehern und Schnauben, begleitet von heftigen Hufschlägen. Ein Schauder überlief mich. Da drinnen war kein kleines Fohlen.
    Ich öffnete die obere Türhälfte und prallte zurück. Vor mir stand ein riesiges Tier und sah auf mich herab; ich hatte mir niemals klargemacht, daß Pferde so groß sein konnten. Es war ein kastanienbrauner Hengst mit einem schön gewölbten Hals und schwellenden Muskeln an Schultern und Kruppe. Bei meinem Anblick legte er die Ohren an, verdrehte die Augen und schlug bösartig aus. Ein langer Splitter flog in die Luft, als der mächtige Huf gegen die Bretter krachte.
    »Allmächtiger Gott«, flüsterte ich und schloß hastig die Tür. »Wie alt ist das Pferd?« fragte ich den Jungen.
    »Sechs Jahre, Sir.«
    Ich versuchte ruhig nachzudenken. Wie sollte man so ein mörderisches Geschöpf anpacken? Ich hatte noch niemals ein solches Pferd gesehen – es mußte mindestens eine Tonne wiegen. Plötzlich fiel mir die Geschwulst ein, die ich entfernen sollte. Ich öffnete die Tür einen Spalt weit und spähte hinein. Ja, da baumelte etwas vom Bauch des Hengstes herab; vermutlich ein Papillom, etwa so groß wie ein Kricketball, mit

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