Der Doktor und das liebe Vieh
zuerst kamen und alles andere eine ärgerliche Störung bedeutete.
Mr. Worley gut zu kennen lohnte sich. Den größten Durst auf ein Glas Bier habe ich nämlich nicht abends, wenn die Wirtshäuser geöffnet sind, sondern gegen vier Uhr dreißig an einem heißen Nachmittag, nachdem ich stundenlang in einem stickigen Kuhstall tätig gewesen bin. Es war köstlich, sich schwitzend und müde in das schattige Heiligtum von Mr. Worleys Küche zurückzuziehen und ein kühles, schäumendes Bier zu trinken.
Der störungsfreie Verlauf dieses gesetzwidrigen Tuns wurde erleichtert durch die Haltung des Ortspolizisten P. C. Dalloway. Sein gutmütiges Wesen und seine elastische Auslegung der Lizenzgesetze hatten ihn zu einer hochangesehenen Persönlichkeit im Bezirk gemacht. Manchmal gesellte er sich zu uns, zog seine Uniformjacke aus und trank mit der ihm eigenen Würde in Hemd und Hosenträgern ein Glas Bier.
Meistens jedoch waren Mr. Worley und ich allein. Wenn er den großen Krug aus dem Keller geholt hatte, setzte er sich zu mir und sagte: »So, nun wollen wir uns was von Schweinen erzählen.«
Wir sprachen über Wundrose und Schweinefieber, über Vergiftungen durch unsachgemäße Salzfütterung und Paratyphus, über die jeweiligen Vorzüge von trockenem und feuchtem Mengfutter, während Fotos seiner unvergleichlichen Säue von den Wänden auf uns herabblickten.
Einmal – während einer tiefgründigen Diskussion über die Belüftung von Schweineställen – unterbrach sich Mr. Worley mitten im Satz, zwinkerte heftig hinter seinen dicken Brillengläsern und sagte: »Wissen Sie, Mr. Herriot, wenn ich hier sitze und mich mit Ihnen unterhalte, bin ich so glücklich wie der König von England.«
Seine Ergebenheit führte dazu, daß ich häufig wegen höchst belangloser Dinge zu ihm gerufen wurde, und ich fluchte leise, als er mich eines Nachts um ein Uhr telefonisch aus dem Schlaf riß.
»Marigold hat heute nachmittag geferkelt, Mr. Herriot, und ich glaube, sie hat nicht genug Milch. Die Kleinen sehen sehr hungrig aus. Würden Sie bitte herkommen?«
Ächzend stand ich auf, tappte die Treppe hinunter und wankte durch den Garten zum Hof. Erst als ich den Wagen aus der Garage gefahren hatte, begann ich aufzuwachen, und als ich vor dem Gasthaus hielt, war ich fähig, Mr. Worley fröhlich zu begrüßen.
Aber der arme Mann reagierte nicht in gleicher Weise. Er machte einen völlig verstörten Eindruck.
»Ich hoffe, Sie können schnell etwas für Marigold tun. Ich bin ganz durcheinander – sie liegt teilnahmslos da, und dabei hat sie so reizende Ferkel geworfen. Vierzehn Stück.«
Als ich in den Koben blickte, konnte ich seine Besorgnis verstehen. Marigold lag auf der Seite und rührte sich nicht, während die winzigen Ferkel ihr Euter belagerten, von einer Zitze zur anderen liefen und bei ihrer verzweifelten Suche nach Nahrung quiekend übereinanderpurzelten. Man merkte ihnen sofort an, daß sie nichts im Magen hatten. Ich fand es immer sehr betrüblich, wenn Ferkel verhungerten, aber so etwas konnte leicht passieren. Sobald sie ihre Versuche zu saugen aufgaben und nur noch im Verschlag herumlagen, war es hoffnungslos.
Ich kroch hinter die Sau und schob ihr das Thermometer in den Mastdarm. »Hat sie heute abend gefressen?«
»Ja, genausoviel wie immer.«
Das Thermometer zeigte eine normale Temperatur an. Ich strich über das Euter und zog an den Zitzen. Die gierigen Ferkel schnappten mit ihren scharfen Zähnchen nach meinen Fingern, als ich sie zur Seite schob. Das Euter war zweifellos voll, aber es gelang mir nicht, auch nur einen Tropfen Milch aus den Zitzen herauszuholen.
»Sie hat keine Milch, nicht wahr?« flüsterte Mr. Worley besorgt.
Ich richtete mich auf und sah ihn an. »Es ist keine Mastitis oder eine andere Krankheit, und Milch ist genügend da, aber irgend etwas blockiert den Ausflußmechanismus. Ich gebe ihr eine Spritze, dann wird die Sache schon in Gang kommen.«
Das Medikament Pitruitin wirkt in solchen Fällen derart schnell, daß man versucht ist, an ein Wunder zu glauben.
Marigold gab keinen Laut von sich, als ich ihr intramuskulär drei Kubikzentimeter verpaßte. Sie war viel zu sehr in eine Unterhaltung mit ihrem Besitzer vertieft – die beiden, fast Nase an Nase, tauschten leise Grunzlaute aus.
Nachdem ich meine Spritze weggelegt und ein paar Augenblicke den zärtlichen Tönen gelauscht hatte, dachte ich, jetzt sei es wohl soweit. Mr. Worley blickte erstaunt auf, als ich wieder nach dem Euter
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